Nein, den Schlüssel zu dem stattlichen Haus am Goetheplatz musste er vor ein paar Wochen abgeben, reinschauen können wir also nicht. Ein klein bisschen fassungslos lässt Rabi Akil diese Tatsache in sich Gewissheit werden.
Dieses Kapitel ist vorbei, sein Büro, seine Werkstatt, sein Fundus aus Echthaar-Perücken, Bärten, antikisierenden Gesichtsmasken und nach Gipsabdrücken gefertigten Körperteilen werden zu Beginn der neuen Spielzeit von einem Nachfolger übernommen.
Drei Jahrzehnte Theatererfahrung
Ein schönes Abschiedsfest hat er mit seinen insgesamt 14 Kolleginnen aus der Maskenbildnerei, von denen er mehrere selbst ausgebildet und dann übernommen hat, und mit den restlichen Theaterleuten aus über drei Jahrzehnten Stadttheatererfahrung zum Abschluss gefeiert.
Akil lächelt sein mildes Lächeln und zuckt kurz mit den Schultern. Jetzt hat er etwas, das er all die Jahre mit stets viel Arbeit nicht so wirklich gekannt hat: viel Zeit. Auf zum Spaziergang durch seine Wahlheimat Bremen. Wo er eigentlich nicht lange bleiben wollte.
Ein Freund lebte in Bremen
Als Twen verließ Akil seine Heimatstadt Beirut. „Ich hatte dort mit meinem Bruder einen Friseursalon, interessierte mich aber viel mehr für Kino und ging Anfang der 70er Jahre für sechs Monate in die USA, nach Michigan, Detroit, dort habe ich eine Ausbildung zum Visagisten gemacht.“
Die wollte er später fortsetzen, zog 1974 zu einem irakischen Freund nach Bremen und hoffte, im US-Konsulat am Präsident-Kennedy-Platz erneut ein Visum für Nordamerika zu bekommen.
Dort strebte er eine Weiterbildung zum Special-Effects- und Make–up-Artisten an. „Menschen schön schminken ist o.k., sie hässlich zu schminken aber macht richtig Spaß“, erzählt Akil.
In Bremen verliebt
„Mich interessierten besonders die Gesichtsplastiken, bei denen man mit Latexschaum oder Silikon und Farbe das Gesicht total verändern kann. Tränensäcke, Augenbrauen, Wangenknochen, Missbildungen, Narben, Wunden, Tätowierungen und so weiter. Bei Horrorfilmen mitzuarbeiten, hätte ich besonders reizvoll gefunden.“
Dann aber brach der Bürgerkrieg in seiner Heimat aus und die amerikanischen Behörden ließen keinen Libanesen mehr ins Land. Akil musste in der Hansestadt bleiben – und verliebt sich nicht nur in sie.
Akil wollte mehr
Er heiratet. Arbeitet einige Jahre in einem Vegesacker Friseursalon. Doch die Unzufriedenheit bleibt: „Ich dachte immer, ich bin doch nicht hergekommen, um jetzt in Deutschland nur Haare zu schneiden und Frisuren zu modellieren.“
Die Ehe wird geschieden und Rabi Akil bewirbt sich an der Staatsoper Hannover. Zwei Jahre macht er in der Maskenabteilung ein Volontariat, wird so selbst zum Maskenbildner. Als 1984 das Bremer Theater jemanden sucht, bewirbt Akil sich sofort und bekommt die Stelle.
Zehn Jahre bis zum Chef
Er ist froh, wieder in Bremen zu sein: „Ich fühle mich hier sehr gut, die Stadt ist nicht zu groß, nicht zu klein, gemütlich und ruhig, sehr tolerant und fast frei von Hochhäusern, die ich gar nicht mag. Sehr schön ist die Theaterumgebung, es gibt die Weser wie auch den Bürgerpark. Ein Alster trinken an der Waldbühne: einfach wunderbar.“
Zehn Jahre später übernimmt Akil als Chefmaskenbildner die Abteilung.
Abpudern ist zu wenig
Viel Arbeit, viele Herausforderungen, doch gelohnt hat es sich, meint der heute 69-Jährige: „Wenn ich mit manchen Kolleginnen rede, die beim Film arbeiten, die haben wirklich wenig Spielraum. Nur abpudern bei den Männern, ein bisschen schminken bei den Frauen – das ist jetzt nicht gerade der nackte Wahnsinn. Ich suche bei meiner Arbeit immer das Kribbeln, Menschen optisch komplett zu verwandeln.“
Geht nicht, gibt es nicht
Jede Maske ist zwar nur eine Illusion, aber gerade deswegen muss sie perfekt sein, so perfekt, dass sie den Betrachter die Wirklichkeit vergessen lässt.
Gekribbelt hat es Akil daher häufig bei der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Regie-Teams in Oper, Schauspiel und Tanz. „Geht nicht, gibt es nicht“, beschreibt er dabei seine Arbeitshaltung, denn von vornherein ausschließen, dass etwas nicht funktioniert oder zu teuer ist, fand er immer langweilig.
Zweitschädel und Plastikbauch
Und so klebte er für eine Choreografie des kürzlich verstorbenen Johann Kresnik zwei Tänzer wie siamesische Zwillingen aneinander, ließ eine ranke Sängerin mit Vier-Kilo-Plastikbauch zur Hochschwangeren mutieren oder bildete für eine Guillotinierung den Kopf eines Schauspielers nach, damit dieser dank Zweitschädel die Enthauptung auf offener Bühne überlebt.
„Manchmal ist es stressig“, sagt Akil, „wenn etwa für 22 Choristen die Haare für einen Auftritt geschneckelt, also kringelig geflochten werden müssen“ – um sie unter Hautimitat verstecken und Glatzenpracht auf den Häuptern inszenieren zu können.
Rabi Akil ist von Herzen Bremer
Nach 34 Jahren geht der zweifache Vater und Großvater jetzt in den Ruhestand. Den in einer anderen Stadt als Bremen zu verleben, kann er sich nicht vorstellen: „Ich bin von ganzem Herzen Bremer. Insgesamt 38 Jahre lebe ich in dieser Stadt und ich mag sie wirklich sehr, auch die Menschen, die hier leben.“
Was er jetzt anfängt, mit seiner Zeit? Er lächelt, zuckt wieder leicht mit den Schultern. Zeit für seine Frau, seine Töchter und Enkelkinder und natürlich für seine Parzelle am Werdersee, in der er orientalische Zucchini züchtet, Kartoffeln anbaut und noch dies oder das nebenbei zum Blühen bringt.
Im Wettlauf gegen die Nacktschnecken, wie er betont, denn „die sind immer schnell vor Ort und haben so eine zarte Zucchinipflanze schnell komplett aufgefressen“.
Zeit zum Ausprobieren
„Habt ihr die Blütezeit im Rhododendronpark erlebt?“, fragt er plötzlich mit strahlenden Augen, „die ist wirklich wunderschön, ich mag diesen Park sogar noch lieber als den Bürgerpark, mit seinen Wiesen und dem Wald. Diese unglaubliche Pracht, einfach wunderbar, das müsst ihr euch beim nächsten Mal unbedingt anschauen.“
Ob ihm das Theater fehlen wird? Die Arbeit, die Kunst? Akil schüttelt angerührt den Kopf, „das weiß ich nicht, dass kann ich nur ausprobieren.“
Text: Jens Fischer & Diana König