Die abgebildeten Räume und Gebäude erzählen rein visuell Geschichten, die man selbst gar nicht kennt. Das wenige Interieur stellt klar, dass bis zur letzten Stunde Menschen an diesen kargen Orten verweilt haben – zu sehen sind sie aber nicht. Kombiniert und nahezu ausgeschmückt werden diese bedrückenden Szenen mit Landschaftsaufnahmen, die letztlich aber auch nur die Distanz von den „rosigen“ Zeiten verdeutlichen. Unter dem Titel „Die Wege der Elisa Kosch“ stellt die Bremer Fotokünstlerin Pia Pollmanns ab dem morgigen Donnerstag, 21. November, rund 40 großformatige Arbeiten in der Remise der Städtischen Galerie/Haus Coburg aus. Die Vernissage beginnt dort um 19 Uhr.
Elisabeth Koschnicke war die Großmutter von Pia Pollmanns. Sie lieferte ihrer Enkelin mit ihren autobiografischen Aufzeichnungen über ihre Vertreibung und Flucht aus Schlesien den Anstoß für das gezeigte Kunstprojekt. Das Manuskript erhielt die Fotografin im Jahr 2000. Erst viele Jahre nach dem Tod ihrer Großmutter, nahm Pollmanns die handschriftlichen Erinnerungen zum Anlass, selbst nach Polen zu reisen. Zwischen 2013 und 2016 trat die Bremerin sechs Reisen an, um ein klares fotografisches Konzept zu entwickeln. Die Werkgruppe, die dabei entstanden ist, distanziert sich klar von einer dokumentarischen Herangehensweise. „Die Wege der Elisa Kosch“ sind abstrahiert, sachlich, präzise und im weitesten Sinn zeitlos. Sie lassen trotz des unruhigen historischen Kontextes eine kompositorische Ruhe spüren – eine Leere, die von tiefem Schweigen zeugt.
Künstlerin befragte Zeitzeugen
Geschwiegen hat Pia Pollmanns auf ihren Reisen in die Heimat ihrer Großmutter allerdings nicht. Im Gegenteil. „Die Leute waren sehr herzlich, offen und interessiert“, erinnert sich die Künstlerin, die sich trotz Sprachbarriere unter anderem mit vielen Anwohnern und Zeitzeugen im ehemaligen Oberstephansdorf unterhalten hat. „Sie haben gerne erzählt“, sagt Pollmanns.
„Die Bilder stillen ein Bedürfnis, dass in vielen Menschen nagt“, vermutet Galerieleiterin Annett Reckert. Sie gehe davon aus, dass die Ausstellung auch eine Projektionsfläche für all diejenigen sein könnte, die nach einer alten oder neuen Heimat suchen. In diesen Zusammenhang passe auch die Remise als Ausstellungsort, die einige Jahre ein Rückzugsort für Heimatvertriebene gewesen sei.
Die Ausstellung in der Remise wird durch eine Audioversion des großmütterlichen Memoiren-Textes ergänzt. Eingesprochen wurden die Aufzeichnungen bewusst von einer männlichen Stimme, von Detlef Roth. „Ich wollte vermeiden, dass die Ausstellungsbesucher denken, es sei die Stimme meiner Großmutter oder meine eigene“, erklärt die Künstlerin.
Vortrag und Lesung im Begleitprogramm
Zu der Ausstellung ist außerdem ein Künstlerbuch erschienen, dass durch die Stiftung Kulturwerk und dem Bremer Kultur-Senator unterstützt wurde. Eine limitierte Edition des Katalogs mit wenigen Originalabzügen ist zudem während der Ausstellung im Museumsshop erhältlich.
Im Rahmen des Begleitprogramms gibt es am 2. Februar, 15 Uhr, im Haus Coburg, einen Vortrag über Flucht und Familiengeschichte in der Fotografie. Referentin ist die Kölner Kunsthistorikerin Heide Häusler. Am 6. Februar steht zudem eine Lesung mit der Schauspielerin Janina Schultz (Shakespeare Company Bremen) an. Sie liest ab 19 Uhr in der Ausstellung aus den autobiografischen Aufzeichnungen von Elisabeth Koschnicke.
Gefördert wurde die Ausstellung vom Niedersächsischen Ministerium für Kultur sowie durch den Freundeskreis Haus Coburg.