Weser Report: Herr Becker, Sie sind jetzt seit etwas mehr als einem Monat Leiter des SOS-Kinderdorfes Bremen. Wie lief der Start für Sie?
Lars Becker: Es war ein sehr aufregender Monat. Das SOS-Kinderdorf Bremen gibt es seit 20 Jahren und das mit der selben Leitung. Die Einrichtung hat also keine Übung, wenn es um einen Leitungswechsel geht. Wir hatten eine Mitarbeiterversammlung als Auftakt und ganz viele Gespräche. Das hat den ersten Monat geprägt.
Sie waren schon zwei Jahre stellvertretender Leiter. Wie sah ihr Weg bis dahin aus?
Ich habe eine Ausbildung zum Sozialassistenten gemacht, die Berufsoberschule mit einem sozialen Schwerpunkt besucht und Sonderpädagogik auf Diplom studiert. Bei meinem ersten Job bin ich in die Jugendhilfe gekommen und habe dort gleich Feuer gefangen. Es ist toll, mit jungen Menschen zu arbeiten und mit ihnen zusammen eine Perspektive zu entwickeln, wo es hingehen kann. Nebenberuflich habe ich zum Thema Förderung besonderer Begabung bei Heimkindern promoviert.
Was macht das Thema für Sie so interessant?
Ich habe bei der Arbeit einfach immer wieder erlebt, dass junge Menschen ganz viel Potenzial besitzen. In einem Umfeld, wo oft die Defizite im Vordergrund stehen, den Blick darauf zu richten, was dieser junge Mensch kann, wie er seine Potenziale entfaltet, was er dafür braucht, ist toll. Das habe ich nebenberuflich gemacht. Vor viereinhalb Jahren bin ich im SOS-Kinderdorf Bremen als Bereichsleiter gestartet und in dann im Januar 2018 stellvertretender Einrichtungsleitung geworden. Anfang Oktober habe ich die Leitungsposition von Karin Mummenthey übernommen.
Welche neuen Impulse wollen Sie als Leiter jetzt einbringen?
Die Einrichtung hat sich in den letzten Jahren schon stark weiterentwickelt. Unsere Arbeit ist von den Bedarfen der Familien hier im Stadtteil und der Kinder und Jugendlichen in Bremen geprägt. Wir sind dabei, eine neue Kindertagesstätte zu entwickeln und in zwei Jahren zu eröffnen. Im Bereich der In-Obhutnahme besteht immer wieder eine Unterversorgung. Wir eröffnen im nächsten Jahr mit dem SOS-Geschwisterhaus auch dort ein Angebot. Unabhängig davon, wer letztendlich in der Verantwortung steht, überlegen wir immer, wo wir unseren Beitrag leisten können.
Und welches Thema liegt Ihnen besonders am Herzen?
Das besondere Interesse liegt schon auf dem Gebiet Bildungs- und Begabungsförderung. Das ist für mich eine Leidenschaft. Das habe ich vorher als Bereichsleitung auch schon im Blick gehabt. Wir haben ein Ausbildungscoaching eingeführt. Jeder Jugendliche, der bei uns lebt, hat die Möglichkeit, daran teilzunehmen. In kleinen Gruppen wird geschaut, was die Teilnehmer können, wie das für einen Beruf nutzbar gemacht werden kann und was zu tun ist, um in diesen Beruf zu kommen. Aber auch die Arbeit mit den jungen Geflüchteten ist schon immer einer meiner Schwerpunkte gewesen.
Wie wird das finanziert?
Dieses Angebot übersteigt die Grundversorgung, die uns durch das Jugendamt zur Verfügung steht. Das Ausbildungscoaching wird daher über Spenden finanziert. Wir sind aber überzeugt, dass es notwendig ist, damit die jungen Menschen eine gute Perspektive finden. Wir möchten vermeiden, dass sie eine Ausbildung starten, die sie dann abbrechen. Durch die kleinen Gruppen ist das eine andere Intensität und die Begleitung viel besser möglich als in der Schule.
Was bedeutet das SOS-Kinderdorf und die Arbeit für Sie in drei Worten?
Das eine ist Leidenschaft, das zweite ist das Helfen und das dritte ist Familie. Darum geht es letztendlich. Hermann Gmeiner, unser Gründer, hat einen Satz gesagt, den ich total gut finde: ‚Alles Große in der Welt geschieht, weil jemand mehr tut, als er muss‘. Das trifft an ganz vielen Stellen zu und gilt auch für unsere pädagogischen Mitarbeiter. Wenn die ihre Aufgabe nur als Job verstehen, funktioniert die Arbeit nicht. Das ist etwas, das uns bei SOS auszeichnet.
Wie hat sich der SOS-Kinderdorf in Bremen bisher entwickelt?
Wir verstehen uns als verantwortlich für ganz Bremen. In den letzten Jahren ist unser SOS-Kinderdorf stetig gewachsen. Gleich geblieben ist, dass Kinder, junge Menschen und Familien im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen. Aktuell haben wir 18 Hilfsangebote an 13 Standorten. Darunter Wohngruppen, Beratungsangebote, Schulkooperationen, ambulante Hilfen und unser Stadtteil- und Familienzentrum in dem auch der Großteil unserer Ehrenamtlichen aktiv ist. Ein Engagement, was ich total großartig finde. Dieses bürgerliche Engagement, das in Bremen sehr ausgeprägt ist, hat uns hier im Stadtteil zu einem richtigen Begegnungsort gemacht.
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