Wir wollen alles richtig machen und entsorgen das aussortierte Plastik fachgerecht in der Recyclingstation Hulsberg (Bennigsenstraße 28) Überraschend für mich: Der ganze Plastik-Kram kommt in den Restmüll. Dafür muss man in der Station einen Müllsack für 5,50 Euro kaufen. Den füllen meine Tochter Merle und ich bis obenhin (bis 15 Kilo sind frei) und schmeißen ihn in den Container – ein befreiendes Gefühl.Foto: Schlie Wir wollen alles richtig machen und entsorgen das aussortierte Plastik fachgerecht in der Recyclingstation Hulsberg (Bennigsenstraße 28) Überraschend für mich: Der ganze Plastik-Kram kommt in den Restmüll. Dafür muss man in der Station einen Müllsack für 5,50 Euro kaufen. Den füllen meine Tochter Merle und ich bis obenhin (bis 15 Kilo sind frei) und schmeißen ihn in den Container – ein befreiendes Gefühl. Foto: Schlie
Reportage

Projekt Plastikfrei – der Selbstversuch

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Weniger Verpackungsmüll produzieren, gesünder und umweltbewusster einkaufen: ein Selbstversuch.

„Mehr Sport, weniger Rauchen – und was ist dein Vorsatz fürs neue Jahr?“ Diese Frage nervt alle zwölf Monate. Deshalb habe ich bereits vor einigen Wochen angefangen, etwas zu ändern: Und zwar kein Plastik mehr zu benutzen. Das Thema läuft in den Medien rauf und runter, sofort hat man Bilder von in Plastikmüll verendeten Meeresbewohnern vor den Augen. Doch man muss gar nicht bis in die Ozeane gucken, eine Joggingrunde am Waldrand zwischen Tetrapaks oder Gelben Säcken reicht.

Was sich aber auch schnell aufdrängt, ist die dumpfe Ahnung, dass das Projekt „Plastikfrei leben“ viel Einsatz fordert. Schließlich geht es hier an die eigene Bequemlichkeit. Darum, mit jahrelang eingespielten Strukturen zu brechen. Und irgendwie wächst die Befürchtung, auf etwas verzichten zu müssen. Jetzt, etwa fünf Wochen später, weiß ich: ich bin zwar auf dem richtigen Weg – am Ziel bin ich aber noch lange nicht.

1. Los Geht’s 

Voll motiviert, unserem Leben den richtigen Dreh zu geben, informiere ich die Familie, dass wir ab jetzt plastikfrei leben wollen. Der Mann zieht mit, die Kinder zucken mit den Schultern. Was das genau für sie bedeutet, können sie nicht erahnen. Wie auch? Das weiß ich ja selber nicht mal.
Familie: Check.

2. Raus mit dem Plastik

Ich reiße sogleich die Schubladen auf – und kippe hintenüber. Knallbuntes Plastikzeug kreischt mich an. Strohhalme, Trinkbecher, Teller für die Kleinen. Große Schüsseln, kleine Schüsseln, Schneidebretter, Behälter. Gefrierbeutel, Zitronenpresse, Wasserkocher, Eierlöffel. Ich mache den Kühlschrank auf und da sieht’s auch nicht besser aus: Pakete mit eingeschweißter Salami, Gouda, Frischkäsedosen, Joghurtbecher, Ketchupflaschen. Auch der Honig, das Knäckebrot, die Nudeln, der Reis, sogar der Chinakohl und die Bio-Gurke sind eingeschweißt – aaaahh! Wohin ich auch schaue – alles voller Plastik. Fast möchte ich aufgeben angesichts der Mammutaufgabe, das alles zu entfernen.

Tue ich nicht. Aber: Alles wegzuschmeißen ist auch die falsche Botschaft. Der Plan ist, erst einmal alles normal zu leeren. Und dann pen à pen die Sachen zu ersetzen. Mir schwant: Vollgeladene Einkaufswagen und Auf-Vorrat-Einkäufe gibt es nicht mehr. Obwohl es mir widerstrebt, denn ich hatte immer gerne Vorrat im Haus. Und Produkte vom Schlachter oder der Käsetheke halten sich nicht so lange wie eingeschweißte.

Ein Blick in den Kühlschrank und ich muss feststellen: Die meisten Produkte sind mit Kunststoff verpackt.Foto: Meister

Ein Blick in den Kühlschrank und ich muss feststellen: Die meisten Produkte sind mit Kunststoff verpackt.Foto: Meister

Auf dem frisch erworbenen Obstnetz steht „Machen macht den Unterschied“. Klingt gut. Ich hole mir also eine Wanne und schmeiße alle Dinge hinein, die ich entbehren kann. Einiges lasse ich noch da, die Tuppersachen waren ja auch teuer. Hähnchenfleisch oder Fisch auf Holzbrettern zu schneiden finde ich außerdem nicht hygienisch und auf Glas oder Marmor mache ich die Messer kaputt. Zwei Plastikbretter bleiben. Immerhin füllt sich die Wanne schnell, quillt sogar über. Letztlich entsorge ich fast einen ganzen Kofferraum voller Müll. Dennoch: Eine „Schublade der Schande“ gibt es noch. Ich habe mir aber vorgenommen, den Inhalt möglichst wenig zu nutzen.
Sortiert: Check.

3. Neues muss her

Jetzt müssen die Gebrauchsgegenstände wieder angeschafft werden. Edelstahlbehälter und -trinkflaschen für die Kinder, Holzbretter, Glasschalen für Wurst oder Käse. Ein neuer Wasserkocher muss her und mehr Schüsseln aus Porzellan. Insgesamt komme ich so auf Ausgaben von etwa 200 Euro. Autsch. Und dabei habe ich schon relativ günstig eingekauft. Leider fällt mir auch nicht immer alles sofort ins Auge. Dass die Kaffeemaschine einen Kunststoffkörper hat, ist mir erst gestern bewusst geworden.
Den Großteil ersetzt: Check.

4. Jetzt wird befüllt

Jetzt müssen die neuen Behälter gefüllt werden. Ich mache mich auf in die drei Bremer unverpackt-Läden. Am besten gefällt es mir in dem L ’Epicerie Bio Unverpackt in der Neustadt. Hier ist alles schön sauber, wohlgeordnet und liebevoll dekoriert. Zwar gibt es nicht so viel Auswahl, wie man es aus dem Supermarkt gewohnt ist, aber dafür kann man spannende Dinge wie Zahnpasta-Tabletten entdecken. Für die Kinder ist es jedenfalls eine riesen Gaudi, aus den Behältern die Waren in die Gläser rieseln zu lassen.

Das Prinzip ist einfach: Mitgebrachte Behälter werden abgewogen, die Grammzahl auf den Boden geschrieben und befüllt. An der Kasse wird das Tara abgezogen und der Inhalt abgerechnet. Simpel, aber einen Überblick, wie teuer mich der Einkauf kommt, habe ich erstmal nicht. Übrigens füllt Besitzerin Myriam Carneva auch Tupperschüsseln. Denn ihr gehe es vor allem darum, Verpackungsmüll insgesamt zu vermeiden.

Das macht auch Kindern Spaß: In dem Unverpackt-Laden L‘ Epicerie Bio hilft Besitzerin Myriam Carneva der sechsjährigen Lina beim Abfüllen der Nüsse.Foto: Schlie

Das macht auch Kindern Spaß: In dem Unverpackt-Laden L‘ Epicerie Bio hilft Besitzerin Myriam Carneva der sechsjährigen Lina beim Abfüllen der Nüsse.Foto: Schlie

Der Nachteil: Man geht schon mit einem Korb leerer Gläser und Behälter los. Ist alles gefüllt, kann das schwer werden. Kommen dann noch Wasserkisten und Milchflaschen hinzu, ist man auf ein Auto fast schon angewiesen.
Alles wieder gefüllt: Check.

5. So sieht’s aus

Es bedarf eines gewissen Engagements, sein Leben so umzustellen, dass man möglichst plastikfrei lebt. Allerdings geht es mir nicht darum, Kunststoffe zu verteufeln. Das Material ist eine Errungenschaft, die an vielen Stellen sicherlich Sinn macht. Und so werde ich auch weiterhin Müllbeutel benutzen, nicht aufhören, ab und zu Chips oder Toast zu essen oder Spontaneinkäufe zu tätigen – ohne, dass ich immer Dosen oder Gläser dabei habe.

Meine Erkenntnis aus diesem Experiment ist vielmehr, bewusst zu essen, einzukaufen und zu leben. Dabei geht es nicht um Verzicht, sondern um eine Verschiebung von Prioritäten. Das ist nicht nur gut für die eigene Gesundheit, sondern auch für die Tiere und unsere Umwelt.
In diesem Sinne: Einfach mal machen!

Tipps:

Hier kann man ohne (viel) Verpackungsmüll einkaufen:

• Auf dem Wochenmarkt.

• Der Schlachter um die Ecke füllt den Edelstahlbehälter mit Salami, bei Rewe an der Frischetheke ist das ebenfalls kein Problem. Sicherlich bieten auch andere Supermärkte diesen Service an. Nachfragen lohnt sich.

• In den Obst- und Gemüseabteilungen einiger Supermärkte können die Waren in mitgebrachten (oder dort gekauften) Netzen abgewogen werden.

• Wer nicht schleppen möchte, kann sich eine Hofkiste liefern lassen. Obst, Gemüse, Milchprodukte, Brot oder Fleisch werden in Bio-Qualität nach Hause geliefert. Infos: oeko-kiste.de, biokisten.org

• Leitungswasser – aufgesprudelt oder nicht – spart Kistenschlepperei und Geld: 1.000 Liter Wasser kosten bei SWB nur 2,13 Euro.

• Bei der Milchtankstelle Köhler, Stromer Landstraße 16, kann man rund um die Uhr frische Milch zapfen.

• Die drei Bremer Unverpackt-Läden: L ’Epicerie Bio Unverpackt (Rückertstraße 1), Füllkorn (Kornstraße, 12) und Sel-Fair (Vor dem Steintor 189).

Haben Sie noch mehr Tipps? Schreiben Sie uns unter bettina.meister@weserreport.de
Wir behalten uns vor, Einsendungen wie Leserbriefe zu behandeln und gegebenenfalls zu veröffentlichen.

Weitere Infos:

Der World Wide Fund For Nature (WWF) hat ausrechnen lassen, wie viel Plastik jeder Mensch weltweit durchschnittlich über Wasser, Nahrung und Atemluft aufnimmt. Im Auftrag der Stiftung hat die University of Newcastle (Australien) herausgefunden: Bis zu fünf Gramm Mikroplastik, das entspricht etwa dem Gewicht einer Kreditkarte, können pro Woche in den menschlichen Körper gelangen. Diese Werte können aber von Person zu Person und von Region zu Region variieren.

Und: Inwieweit die Aufnahme von Mikroplastik schädlich für die Gesundheit sei, ist derzeit noch nicht erforscht. Allerdings sei die Produktion neuer Kunststoffe seit 1950 um das 200-Fache gestiegen; seit dem Jahr 2000 liege die jährliche Wachstumsrate bei vier Prozent und bis 2030 könne die Plastikproduktion um 40 Prozent steigen. Derzeit, so der WWF, gelange etwa ein Drittel des Plastikmülls in die Umwelt – 2016 entsprach dies 100 Millionen Tonnen.


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