Weser Report: Herr Becker, Sie gehen mit Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“ auf Tour. Ein Buch, das auch Vorlage war für Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse now“. Wie kamen Sie darauf, diesen Roman ?
Ben Becker: Joseph Conrad kenne ich schon seit meiner Jugend. Ich glaube, mein Vater hat mich darauf gebracht und mir den Roman in die Hand gedrückt. Dann kam vor zwei, drei Jahren John von Düffel, seinerzeit Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin, mit dem Text an. Zuerst habe ich infrage gestellt, ob man diesen Text auf die Bühne bringen kann. Dann habe ich mich doch hundertprozentig dafür entschieden, ihn für die Bühne zu inszenieren. Denn ich denke, dass der Text etwas sehr Zeitgenössisches mitbringt, obwohl er bereits 1899 geschrieben wurde.
Einige werten den Roman als Kritik am Kapitalismus, andere halten den Text für rassistisch, weil die Belgier darin als bessere Menschen dargestellt werden als die Menschen im Kongo, der damals dem belgischen König unterstand und von ihm ausgebeutet wurde. Was meinen Sie?
Ich möchte Conrad und den Test weder auf das eine noch das andere reduzieren. Dafür ist Conrad zu umfassend. Viele Philosophen und andere Wissenschaftler haben darüber lange Abhandlungen geschrieben, auch Hannah Arendt. Da würde ich nicht sagen: schwarz oder weiß, Winnetou ja oder nein. Man muss immer fragen, woher der Vorwurf kommt und in welchem Zusammenhang er auftaucht. Ich kann den Philosophen und Literaten verstehen, der hier von Rassismus spricht. Er kommt aus Afrika. Kapitalismuskritik ist der Roman insofern, als Conrad in seinen Geschichten sehr genau auseinandergenommen hat, was die Gesellschaft bewegt. Die damals aufkommende Industrialisierung hat auf harsche Mittel zurückgegriffen, um an Rohstoffe zu kommen, um das sehr vorsichtig zu sagen. Auch heute werden Länder wegen ihrer Rohstoffe ausgebeutet.
Was sagt uns der Roman heute noch?
Ich weiß nicht, ob Conrad mit erhobenem Zeigefinger kommt, aber er stellt auf jeden Fall etwas in den Raum, in dem sich der geneigte Zuhörer bei der einen oder anderen Frage in der heutigen Zeit wiedererkennt. Und das stimmt nachdenklich, wenn nicht auch traurig.
Sie haben die Bibel mit Musik und Gospelchor auf die Bühne gebracht, den „Fall Judas“ von Walter Jens und die Inszenierung „Affe“ und jetzt das Herz der Finsternis: Was verbindet diese Stücke miteinander?
Ben Becker. Nein, es sind Texte, von denen wir meinen, dass es lohnt, sie auf die Bühne zu bringen. Bei Judas, auch bei der Bibel geht es um die Auseinandersetzung mit Schuld, um Existenzialismus. Das sind Themen, die mich interessieren. „Judas“ läuft immer noch, kommt auch wieder nach Bremen. Und „Affe“ pausiert noch aufgrund von Corona. Das Projekt kommt wegen der umfangreichen Produktion erst 2024/25 wieder.
Beim Stück „Affe“ tragen Sie Texte von Friedrich Engels und von Franz Kafka vor – eine sehr ungewöhnliche Kombination.
Beide Texte sind fast zeitgleich entstanden. Engels erzählt von der Menschwerdung des Affen. Davon, wie sich seiner Meinung nach der Affe zum Homo sapiens entwickelt hat. Kafkas Text ist ein Bericht an die Akademie und behandelt die aufgezwungene Abstraktion der Menschwerdung.
Wie reagieren die Zuschauer auf das „Herz der Finsternis“ in der Zeit von Corona und Krieg?
Ich habe tatsächlich ein bisschen Angst davor, dass sie sagen, düstere Berichte hätten sie im Fernsehen schon genug. Aber mittlerweile habe ich das Gefühl, dass die Leute mit höchster Aufmerksamkeit und spannungsgeladen der Geschichte folgen. Das schönste Kompliment, das ich bisher gehört habe, was, als ein Zuhörer nach der Lesung, sagte, am liebsten würde er sein Handy wegwerfen.
Weil das ohne Rohstoffe aus Asien und Afrika nicht auskommt. Aber befassen Sie sich in ihren Darbietungen nicht immer mit den Abgründen der Menschheit?
Man kann das nicht alles über einen Kamm scheren. Kunst ist dazu da, Dinge grundsätzlich infrage zu stellen. Sie soll Fragen aufwerfen, nicht unbedingt, um sie zu klären, sondern allenfalls, um bei der Suche nach Antworten behilflich zu sein.
Das „Herz der Finsternis“ spielt im Kongo, damals unter der Herrschaft des belgischen Königs. Waren Sie selbst schon in Afrika?
Im Senegal, wo ich das Kinderkrankenhaus Sage Hospital unterstütze, und zu Dreharbeiten.
Sie spielen Theater, wirken in Filmen mit und gehen auf Lesetour. Wofür schlägt Ihr Herz am meisten?
Für das Theater, für Live-Auftritte. Außerdem mag ich meine Selbstbestimmung. Also suche ich mir meine Texte selbst aus und umgebe mich mit Leuten, die mich weiterbringen und mich unterstützen. Ich nenne das meinen kleinen Zirkus. Da fühle ich mich Zuhause, nicht in irgendeiner Krimi-Serie.