Bettina Wilhelm ist seit 2017 Leiterin der Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichstellung der Frau (ZGF) und Bremens Landesbeauftragte für Frauen.Foto: Schlie Bettina Wilhelm ist seit 2017 Leiterin der Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichstellung der Frau (ZGF) und Bremens Landesbeauftragte für Frauen. Foto: Schlie
Weltfrauentag

Bettina Wilhelm: „Dicke Bretter zu bohren“

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Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm über ungleiche Bezahlung, Wahllisten und Vorbilder

Weser Report: Frau Wilhelm, im Ländervergleich ist die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen in Bremen am höchsten. Wie kann die Landesstrategie Gendergerechtigkeit und Entgeltgleichheit dem entgegen wirken?

Bettina Wilhelm: Die Landesstrategie wird jetzt umgesetzt. Es war ein einjähriger Beteiligungsprozess mit zivilgesellschaftlichen AkteurInnen. Das Thema Entgeltgleichheit muss sehr breit angegangen werden, weil die Faktoren, die zu einer Lücke führen, sehr vielfältig sind. An diesen Themen arbeiten wir schon lange. Es sind eben die dicken Bretter, die gebohrt werden müssen: Sorge- und Betreuungsarbeit braucht dringend mehr Anerkennung und mehr Geld. Frauen müssen in besser bezahlten Branchen und weniger im Niedriglohnsektor arbeiten. Sie müssen sich auch für andere Berufe interessieren und qualifizieren. Hier nennt die Landesstrategie wichtige Maßnahmen.

Was muss sich in den Unternehmen ändern?

Die Präsenzkultur in Unternehmen ist immer noch sehr hoch. Wer viel im Unternehmen ist, ist vermeintlich wichtig und arbeitet auch viel. Das ist aber nicht richtig. Eine ganz große Stellschraube ist das Thema Sorgearbeit. Dadurch entstehen die größten Ungleichheiten in den Biografien, auch im öffentlichen Dienst. Im neuen Personalbericht sehen wir, dass über alle Gehaltsgruppen hinweg Männer durchschnittlich eine Gehaltsgruppe höher eingruppiert sind als Frauen, obwohl wir mehr Frauen im öffentlichen Dienst haben, mit gleichen Qualifikationen. Der Unterschied hat mit Karrierechancen und Berufsbiografien zu tun. Bei 37 Prozent der Mütter wird die Arbeit wegen fehlender Kinderbetreuung beeinflusst. Bei Männern sind es nur 5 Prozent.

Findet denn bei jungen Vätern ein Umdenken statt?

In Zeiten von Corona sind Männer mehr in die Sorgearbeit eingestiegen. Proportional aber waren Frauen viel mehr eingebunden in die Betreuung. Es gibt durchaus einen Mentalitätswandel. Junge Väter sagen nach Corona: Es ist besser, wenn ein Elternteil zu Hause bleibt. Der Stress hat Familien an den Rand gebracht. Diese Einstellung geht aber wieder zu Lasten der Frauen.

Sind Arbeitgeber jetzt flexibler, auch wenn Männer sich in der Betreuung mehr einbringen?

Das muss noch viel selbstverständlicher werden. Ein ganz wichtiger Faktor ist das Thema Elternzeit. Die muss für Väter erhöht werden. Das trägt zu einem Kulturwandel in Unternehmen bei.

Das Elterngeld Plus hat Ansätze in diese Richtung.

Das ist auch gut so. Denn es ist nachgewiesen, dass Väter, die in Elternzeit gehen, eine viel bessere Bindung zum Kind haben. Das zahlt sich in der Qualität der Beziehung aus, aber ganz sicher auch darin, dass sie die Bedürfnisse der Kinder besser erkennen und eigene Karrierewünsche dem eher anpassen.

Könnte das auch als Vorbild für Kinder dienen und traditionelle Rollenbilder ändern?

Absolut. Und das ist ein weiteres wichtiges Thema, denn die geschlechterspezifische Zuordnung zu Berufen muss sich ändern. Wir brauchen mehr Männer in sozialen und Gesundheitsberufen und wir brauchen mehr Frauen in technischen Berufen und eine stärkere Durchmischung. Ich bin mir sicher, dass sich dann auch in der Arbeitswelt einiges ändert. Das hängt wiederum stark mit Klischees zusammen. Berufs­orientierung setzt häufig zu spät an. Die Jugendlichen schauen dann schon nicht mehr nach Interessen, Talenten oder Wünschen bei der Berufswahl, sondern sortieren nach Männer- und Frauenberufen. Hier müssen die klassischen Rollenbilder aufgebrochen werden.

Ist denn bei den Gehältern eine Annäherung zu sehen?

Ja, dabei spielen wissensbasierte Dienstleistungen eine wichtige Rolle. Auch die Gesundheitsberufe als absolute Zukunftsbranche in unserer Gesellschaft sind wichtige Märkte. Man kann auch mit Wirtschaftspolitik gegensteuern, da wird hier schon einiges getan. Das Thema Fachkräfte ist ein wichtiger Faktor.

Wie sieht es mit den Führungspositionen bei den landeseigenen Betrieben aus? Hat sich der Anteil der Frauen erhöht?

Nach Zahlen von 2020 liegt Bremen auf Platz zwei bundesweit bezogen auf weibliche Führungskräfte und Managementpositionen in Eigenbetrieben und -gesellschaften. Das ist ein toller Platz. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Top-Managementpositionen sich reduziert haben. Es wurde eher ein Ausgleich geschaffen. Da gibt es viel zu tun und das fängt an in der Auswahl der Besetzungsagentur. Es ist ein Qualitätsmerkmal geworden, wenn eine Agentur es schafft, Frauen in Geschäftsführungen zu bringen. Denn das ist schwieriger.

Die Wahl steht an. Auf drei Listen der in der Bürgerschaft vertretenen Parteien stehen über 50 Prozent Frauen. Sollte Parität im Parlament gesetzlich festgeschrieben werden?

Wichtig ist, dass die Listen alternierend aufgestellt sind und nicht die Frauen nach hinten rutschen. Mit der Direktwahl kann man auch das Ergebnis beeinflussen. Ich hoffe, dass viele Wähler gezielt Frauen wählen. Wir fordern für Bremen unbedingt ein Paritätsgesetz. Aber unser kompliziertes Wahlrecht erschwert das. Insgesamt sind wir in der Bürgerschaft im Vergleich zu anderen Bundesländern besser aufgestellt, auch was Menschen mit Migrationsbiografien angeht. Wir sind aber natürlich noch nicht bei 50 Prozent. Das Parlament repräsentiert die Gesellschaft noch nicht. Da geht es aber auch um andere Faktoren, nicht nur Geschlechter.

Was halten Sie von einem gesetzlichen Feiertag am Internationalen Frauentag?

Wir fordern ihn nicht. Aber wenn Bremen sich einen weiteren Feiertag leisten möchte, dann würden wir diesen vorschlagen.

Info:

Der 8. März ist der Internationale Frauentag. Erstmals fand er 1911 statt. Unter weltfrauentag-bremen.de finden Interessierte zahlreiche Veranstaltungen zum Thema Gleichberechtigung, zu Frauen- und Geschlechterfragen. Diese finden rund um den 8. März statt.

Die Demonstration „Für internationale Solidarität und Freundschaft“ zum Weltfrauentag startet am 8. März um 16.30 Uhr am Zentaurenbrunnen im Leibnizpark an der Friedrich-Ebert-Straße und endet gegen 17.30 Uhr mit einer Abschlusskundgebung auf dem Bremer Marktplatz.

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