Professor Dr. Harm Wienbergen leitet das Bremer Institut für Herz- und Kreislaufforschung (BIHKF) und ist Teil der Stiftung Bremer Herzen. Foto: Wienbergen
Gesundheit

„Spritze allein kann nicht helfen“

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Der Bremer Kardiologe Harm Wienbergen über die „Abnehmspritze“ und Alternativen

Weser Report: Herr Wien­bergen, die sogenannte Abnehmspritze ist in aller Munde. Um was genau handelt es sich und wie wirkt das Medikament?

Harm Wienbergen: Es handelt sich um das Medikament Semaglutid, welches in der Diabetes-Therapie schon seit 2018 zugelassen ist. Man hat bei den Studien zu Diabetes schon gesehen, dass es auch Gewicht reduzieren kann. Es wird einmal pro Woche gespritzt.

Semaglutid reduziert das Gewicht erstens über den Stoffwechsel. Es wird weniger Zucker in der Leber gebildet, Zucker wird sonst zu Fett umgewandelt. Weniger Zucker im Körper wirkt sich also auf den Fettanteil aus. Zweitens führt Semaglutid dazu, dass sich der Magen langsamer entlehrt, man also länger satt ist. Und drittens zügelt das Medikament den Appetit und wirkt damit auch im Gehirn. Diese drei Effekte führen dazu, dass man Gewicht abnimmt.

Wirkt die Spritze nur bei Diabetikern?

In neueren Studien aus dem Jahr 2021 wurde das Medikament dann bei Personen eingesetzt, die keine Diabetes, sondern Übergewicht hatten. Auch da hat man gesehen, dass Semaglutid in hoher Dosierung das Gewicht deutlich reduziert. Es wurde erst in den USA, inzwischen auch in Deutschland und Europa unter dem Namen Wegovy zugelassen.

Es ist eine Art Hype darum entstanden. Wir wollen aber genau davor warnen: Es ist kein Lifestyle-Medikament, dass sich jeder, der ein paar Pfunde zu viel hat einfach spritzen sollte. Prinzipiell ist es aber zugelassen als Medikament für Patienten, die eine Adipositas haben.

Das Medikament ist verschreibungspflichtig. Übernehmen die Krankenkassen die Kosten?

Es muss von einem Arzt verschrieben werden, wird allerdings nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Es wurde auch schon als „Abnehmspritze für die Reichen“ bezeichnet, weil es pro Monat im Moment etwa 300 Euro kostet. Da es über einen längeren Zeitraum gespritzt wird, handelt es sich um einen hohen Kostenfaktor.

Sind Nebenwirkungen bekannt?

Zumindest sind die Nebenwirkungen so gering, dass es zugelassen wurde. Aus den Studien weiß man aber, dass es häufig zu Magen-Darm-Beschwerden kommt. Übelkeit, Erbrechen und Durchfall kamen bei 20 bis 40 Prozent der Patienten vor. Ernstere Komplikationen sind bei unter einem Prozent beschrieben worden und werden noch geprüft. Darunter Bauchspeicheldrüsenentzündung und Darmverschluss.

In Tierexperimenten hat man zudem Schilddrüsentumore nachgewiesen. Wirkliche Langzeitdaten gibt es aber noch nicht. Andere Abnehmprodukte und Appetitzügler haben in der Vergangenheit gezeigt, dass weitere Nebenwirkungen später auftraten.

Wie viele Menschen betrifft das Thema Abnehmspritze?

In Deutschland leben 13 Millionen Menschen, die adipös sind, Tendenz steigend. Die vertreibende Firma Novo Nordisk ist mittlerweile das wertvollste Unternehmen Europas und auch das Unternehmen Lilly produziert ein Medikament, welches in den USA schon zugelassen wurde und noch stärker ist als Semaglutid. Es ist also auch ökonomisch ein interessantes Thema.

Gibt es einen Jojo-Effekt?

Ja, den gibt es. Das Gewicht kommt zurück, wenn man die Spritze absetzt. In einer der größten Studien hat man einen Teil der Probanden auf ein Placebo umgestellt. Das Gewicht stieg wieder auf den alten Wert. Das bedeutet, dass man das Medikament langfristig spritzen muss.

Denken wir da an Kinder und Jugendliche, denn Semaglutid ist bereits ab zwölf Jahren zugelassen, müssten diese ihr Leben lang das Medikament spritzen. Das ist nicht nur sehr teuer, sondern auch unphysiologisch. Für Menschen, die einen ganz hohen BMI haben, kann die Spritze aber schon für einen gewissen Zeitraum ein erster Schritt sein, um das Gewicht so zu reduzieren, dass sie motivierter sind, Sport zu treiben und sich gesünder zu ernähren. Das müsste aber meiner Meinung nach gut begleitet sein und mit Aufklärung zu Ernährung und Sport einher gehen.

Was ist ihre Empfehlung als Alternative zur Abnehmspritze?

Als Stiftung Bremer Herzen sind uns vor allem zwei Dinge sehr wichtig: Das Entscheidende sollte immer ein gesunder Lebensstil sein. Der Mensch ist nicht dafür konzipiert, sich nicht mehr zu bewegen, immer mehr Gewicht zuzunehmen und dieses dann letztendlich mit einem Medikament wieder runter zu spritzen. Sport und gesunde Ernährung sollten das sein, was Vorrang hat. Die Spritze sollte nur in Ausnahmefällen und für sehr adipöse Menschen in Frage kommen. Sport hat zudem noch viele andere positive Effekte als nur die Gewichtsreduktion.

Welche?

Die Muskulatur wird gestärkt, was auch für ältere Menschen noch sehr wichtig ist. Auch die Gefäße haben einen besseren Reparaturmechanismus, was für das Herz sehr wichtig ist. Es gibt viele Studien zu den positiven Effekten von Sport. Dazu kommt die gesunde Ernährung. Da spielen dann antioxidative Effekte eine Rolle.

Man sollte bezüglich eines gesunden Lebensstils nicht kapitulieren, sondern versuchen, Sport und gesunde Ernährung in den Alltag zu integrieren. Das ist insbesondere bei Kindern sehr wichtig. Deshalb gehen wir als Stiftung auch in Schulen und versuchen dort aufzuklären. Kinder werden heute immer adipöser, genau wie Erwachsene. Da ist es ganz wichtig, mit Aufklärung dagegen zu halten. Wir haben zum Beispiel auch das Projekt „Bremen läuft 10“, bei dem wir in der Stadt niedrigschwellige Laufgruppen anbieten für alle, die damit einen Einstieg finden wollen, sich mehr zu bewegen und so Gewicht zu verlieren.

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