Hans-Georg Güse war Anästhesist und leitender Oberarzt im Klinikum Links der Weser und Chefarzt in einem Krankenhaus in Niedersachsen. Der Mediziner ist Vorstand des Vereins Ambulanten Versorgungsbrücken in Bremen. Foto: Marcus Schmidt Hans-Georg Güse war Anästhesist und leitender Oberarzt im Klinikum Links der Weser und Chefarzt in einem Krankenhaus in Niedersachsen. Der Mediziner ist Vorstand des Vereins Ambulanten Versorgungsbrücken in Bremen.
Pflegende Angehörige

„Ein echtes Demokratieproblem“

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Vorstand des Vereins Ambulante Versorgungbrücken über die Not pflegender Angehöriger

Hans-Georg Güse ist der Vorstand des Vereins Ambulante Versorgungsbrücken. Im Interview mit dem Weser Report spricht er über die Sorgen und Probleme pflegender Angehöriger

Herr Dr. Güse, schon 2029 soll der Pflegenachwuchs, so die DAK Bremen, „die altersbedingten Berufsaustritte der Baby-Boomer nicht mehr auffangen können.“ Müssen dann noch mehr Menschen ihre Angehörigen zu Hause pflegen?

Hans-Georg Güse: Damit ist notgedrungen zu rechnen.

Bei der Sitzung der Schafferinnen in der Bügrerschaft kam das Thema „Pflegende Angehörige“ zur Sprache. Wie viele Menschen in Bremen müssen so ihre Verwandten, Freunde oder Nachbarn betreuen?

Das ist der Fall für eine Millionen Personen in Deutschland. Runter gerechnet auf Bremen wären das etwa 10.000.

Was macht man, wenn jemand aus dem Krankenhaus kommt und Pflege braucht?

Es gibt zwei unterschiedliche Gruppen: Das sind einmal die Krankenhaus-Patienten, die schon vorher pflegebedürftig waren und für die eventuell ein Heimplatz verfügbar ist. Und die anderen, die zum Beispiel durch einen Unfall oder eine besondere Krankheit pflegebedürftig werden.

Der Anteil der Patienten, die tatsächlich im Krankenhaus liegen und anschließend pflegebedürftig werden, liegt bei etwa 20 Prozent.
Was tun, wenn man in eine solche Situation gerät? In der Regel hat das Krankenhaus ein Überleitungs-Management, das gesetzlich vorgeschrieben ist und die stationäre Versorgung klären soll.

Dieses Management ist häufig nicht gut aufgestellt oder hat ein Problem mit den Kontakten zu den poststationären Versorgungseinrichtungen. Denn die haben jetzt – und das ist das Problem – deutlich weniger Kapazitäten. Die Kurzzeitpflege fällt weitestgehend aus oder hat ihre Möglichkeiten reduziert.

Die stationären Bereiche haben Personalprobleme. Das ist die Regel. Dies hat zum Beispiel Professor Rothgang von der Bremer Universität ermittelt und einen Pflegereport für die Barmer erstellt. Was bleibt? Der Anteil der häuslichen Pflege steigt erheblich!

Es betrifft meistens Frauen. Warum eigentlich?…

Das liegt in der Regel daran, dass die Rollenzuteilung in unserer Gesellschaft so ist.

…und gehen sie dafür in Teilzeit oder verdienen die Frauen überhaupt kein Geld mehr?

Das ist sehr häufig der Fall. In der Regel gehen diese Frauen in Teilzeitarbeit oder geben ihren Beruf auf. Die Pflegereporte der Barmer und der DAK sind sogar so weit gegangen, zu erkennen: Hier liegt ein grundsätzliches Problem unserer Gesellschaft vor. Es sei sogar ein echtes Demokratieproblem.

Dann ist doch sogar ihre Rente in Gefahr? Was sollte die Politik dagegen unternehmen?

Die Rentenversorgung dieser pflegenden Angehörigen wurde zwar angehoben und das Pflegegeld ist gesteigert worden. Das ist allerdings nicht existenzerhaltend – ein bisher nicht gelöstes gesellschaftliches Problem

Wer sagt einem eigentlich, wie man seine Liebsten am besten versorgen kann, wenn diese daheim bleiben möchten?

Die Informationen gibt es zum Beispiel bei den Pflegestützpunkten in Bremen oder bei Verbänden, die bezüglich der Pflege beraten. Außerdem gibt es freie Träger und Vereine, die Arbeitsgruppen und Betroffenengruppen eingerichtet haben.

Wo liegen im pflegerischen Alltag die höchsten Schwierigkeiten?

Die größten Schwierigkeiten liegen – glaube ich – bei der Pflege von Demenzerkrankten.

„Die Pflege hat etwas mit Würde zu tun – auch für Pflegende“, sagte Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer. Wie kann man diese Würde erhalten?

Indem man diese Gruppe von Betroffenen wertschätzt und ins Zentrum der Politik stellt. Die pflegenden Angehörigen sind eine große Gruppe in der Gesellschaft.

Wann bemerkt man, ob man die Pflegearbeit noch schafft – mental, körperlich und finanziell?

Das Problem ist an dieser Stelle, dass es ganz häufig pflegende Angehörige betrifft, die selber körperliche Einschränkungen haben. Das sind in der Regel Ehepartner oder Eltern, die in höherem Alter sind. Man selber ist 60 oder 70 und muss dann diese Arbeit verrichten. Das hat immer auch mit körperlichen und mentalen Einschränkungen des Pflegenden zu tun. Da kann man aber keine eindeutige Grenze setzen. Der Zeitfaktor spielt zudem eine große Rolle.

Können Sie kommende und schon betroffene Angehörigen, Freunden und Nachbarn die Angst vor der Pflegezeit nehmen? Wer steht ihnen zur Seite?

Der erste Schritt ist, dass man sich sehr präzise darüber informiert, welche Hilfen überhaupt zur Verfügung stehen.
Außer dem Pflegegeld gibt es noch Möglichkeiten der Sachleistungen. Es gibt die Möglichkeiten der medizinischen Pflege. Man könnte durchaus mehrere Leistungen bündeln. Es ist der erste Schritt, dass man sich ein Stück weit Entlastung schafft. Dieses wird in der Regel von der Pflegekasse und auch zum Teil von der Krankenkasse unterstützt.

Wenn man mal eine Auszeit braucht, freie Tage und Stunden, vielleicht Urlaub: Was macht man dann?

Es gibt zumindest formal die Möglichkeiten der Tagespflege, Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege und so weiter. Das Sozialgesetzbuch SGB 11 stellt einige Möglichkeiten zur Verfügung. Darüber müsste man sich bei den Pflegekassen oder den Beratungseinrichtungen, wie zum Beispiel bei den Pflegestützpunkten oder bei uns im Verein Ambulante Versorgungsbrücken informieren.

Was bewegt Sie aktuell besonders?

Was tatsächlich auf uns zu kommt. Das ist, dass sich die Situation drastisch verschärfen wird. Politisch, zum Beispiel in der Förderung der Nachbarschaftshilfe, müssen neue Möglichkeiten geschaffen werden, die dann auch zum Teil auf Ehrenamtlichkeit beruhen. Das Thema „pflegende Angehörige“ muss auf die Agenda der Politik gestellt werden.

 

 

Ambulante Versorgungsbrücken

Der Verein Ambulante Versorgungsbrücken organisiert Begleitungen zu Arztterminen oder zum Begutachtungstermin zu Hause. Das Team hilft auch beim Ausfüllen des Antrages für den Pflegegrad. Das Büro ist erreichbar über Telefon 0421 / 696 42 00 und die Internetseite ambulante-versorgungsbrücken.de

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