Unter dem Titel „… Ich will …, dass die Wahrheit siegt …“ ist in der Edition Falkenberg ein besonderes und zugleich bedrückendes Buch erschienen. Der Autor Hans Hesse schildert darin die Geschichte von drei Sinti- und Roma-Familien die Opfer von NS-Menschenversuchen im KZ Auschwitz-Birkenau wurden. Dabei erzählt er nicht nur das schreckliche Schicksal der Opfer, sondern forscht auch nach den Schuldigen.
Sechs Sinti- und Roma-Familien auf dem Waller Friedhof
Sechs Sinti- und Roma-Familien kommen am 22. Januar 1927 zur Beerdigung der Sintezza Wilhelmine Petermann auf dem Waller Friedhof zusammen. Von diesem heute ältesten, noch erhaltenen Sinti-Grab in Bremen führt eine Erinnerungsspur zu einem furchtbaren NS-Verbrechen. Fast alle Angehörigen der Familien Bamberger, Mechau und Petermann werden in den 1940er Jahren Opfer von NS-Menschversuchen im sogenannten „Familienzigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau.
Menschenversuche wegen der Heterochromie
Nachdem NS-„Wissenschaftler“ entdeckt hatten, dass in Sinti- und Roma-Familien häufiger eine Heterochromie (Verschiedenfarbigkeit der Augen) vorkommt, sollten an den Kindern der Familien Menschenversuche durchgeführt werden. Ganz besonders interessierte sich die Bremer Biologin Karin Magnussen für diese eigentlich harmlose Augenanomalie. Magnussen arbeitete zu diesem Zeitpunkt am Kaiser-Wilhelm- Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin. Sie beauftragte den KZ-„Arzt“ Josef Mengele mit den Versuchen. Der tröpfelte den Kindern zunächst eine Flüssigkeit in die Augen. Nach deren Ableben/Ermordung schickte er deren Augen dann zu Magnussen nach Berlin, die sie weiter untersuchte.

Bei der erkennungsdienstlichen Aufnahme der getöteten Waltraud Mechau kann man die Augenanomalie erkennen. Foto: Bollmann
Ein Verbrechen an den Sinti und Roma
Schon in seinem Vorwort stellt sich Hesse die Frage, wie man die Verbrechen darstellen kann, ohne die Würde der Opfer zu beschädigen. Das geht hin bis zu den Fotos, wie das von Waltraud Mechau auf dem Cover des Buches, die nicht freiwillig angefertigt wurden. Es handelt sich dabei nämlich um erkennungsdienstliche Aufnahmen der Kriminalpolizei. Letztlich sei die Schilderung der Vorkommnisse immer eine Gratwanderung, die dennoch wichtig sei, um die Verbrechen aufzuklären. „… ich will …, dass die Wahrheit siegt und der letzte Schleier von jenen grauenhaften Einzelheiten des Naziregimes genommen wird“, klagte als einer der letzten Überlebenden Gustav Mechau bereits 1948 gegen den Kriminalbeamten, der seine Familie 1943 nach Auschwitz deportiert hatte.
Die Täter wurden nicht zur Rechenschaft gezogen
Zur Rechenschaft gezogen wurden die meisten Täter unterdessen nicht. Während die wenigen Überlebenden der Opferfamilien noch bis in die 1970-er Jahreum Entschädigungen kämpfen mussten, wurden viele Täter kaum behelligt. So arbeitete Wilhelm Mündtrath, der Leiter der „Dienststelle für Zigeunerfragen bei der Bremer Kriminalpolizei, nach 1945 weiter bei der Kripo. 1973 wurde er zum Kriminal-Obermeister befördert. Auch Magnussen, die bereits 1931 in die NSDAP eingetreten war, wurde nicht für die Menschenversuche zur Rechenschaft gezogen und 1948 nur als „Mitläuferin“ eingestuft. 1950 kam sie als Lehrerin am Mädchengymnasium an der Karlstraße (am Hillmannplatz, die Schule zog 1968 um in das neu gebaute Gymnasium an der Kurt-Schumacher-Allee) in den Schuldienst.
■ „… ich will …, dass die Wahrheit siegt …“ von Hans Hesse ist in der Edition Falkenberg erschienen. Es ist unter der ISBN-Nummer 978-3-95494-368-5 für 29,90 Euro im Buchhandel erhältlich.







