Die Zahl der überschuldeten Menschen in Bremen und Bremerhaven ist im Jahr 2025 erneut spürbar gestiegen – und zwar stärker als im bundesweiten Durchschnitt. Das geht aus dem neuen Creditreform-Schuldneratlas 2025 hervor, der heute (Freitag, 14. November) veröffentlicht wurde. Mit einer Überschuldungsquote von 12,11 Prozent (Vorjahr: 11,81 Prozent) bleibt Bremen das Schlusslicht im Länderranking. Rund 2.300 Menschen mehr als im Vorjahr gelten nun als überschuldet.
Bundesweit zeigt sich ein ähnlicher, wenn auch weniger drastischer Trend: 5,67 Millionen volljährige Personen sind überschuldet, 111.000 mehr als noch 2024. Die bundesweite Überschuldungsquote steigt damit auf 8,16 Prozent – der erste deutliche Anstieg seit 2018.
Überschuldet sind Menschen, wenn sie fällige Forderungen nicht mehr aus dem verfügbaren Einkommen oder aus Vermögenswerten begleichen können. Eine Verschuldung dagegen liegt vor, sobald eine Person einen Kredit aufnimmt, etwa wenn Immobilien erworben werden.
Nicht mehr nur Geringverdienende betroffen
Creditreform führt die Entwicklung auf eine Mischung aus wirtschaftlichen und sozialen Belastungen zurück. „Nach Jahren des Angst-Sparens sind die finanziellen Puffer vieler Menschen schlicht aufgebraucht. Die Multikrisen Corona, Energiepreisschock und Inflation haben nicht nur Spuren hinterlassen, sie wirken jetzt nach“, sagt Verena Dahlke von Creditreform Bremen.
Ihr Kollege Peter Dahlke ergänzt: „Bremen hat die bundesweite Trendwende besonders zu spüren bekommen. Nach Jahren rückläufiger Zahlen steigt die Überschuldung wieder deutlich an. Das ist kein Ausrutscher, sondern Ausdruck einer strukturellen Schwäche in den privaten Finanzen.“
Zudem beobachtet das Inkassounternehmen Creditreform eine Verschiebung in der Zusammensetzung der Betroffenen: „Wir sehen, dass immer mehr Menschen in die Überschuldung geraten – nicht nur klassische Risikogruppen, sondern zunehmend auch die gesellschaftliche Mitte, sagt Peter Dahlke.“
Standards halten verursacht Schulten
Besonders auffällig ist laut Schuldenatlas die Entwicklung bei Menschen mit mittlerem und überdurchschnittlichem Einkommen. Die Gruppe der „Lifestyle-Überschuldeten“ sowie der „Überschuldungspragmatiker“ wächst weiter. Sie versuchen, trotz steigender Lebenshaltungskosten ihren gewohnten Standard zu halten – oft mit dem Ergebnis finanzieller Engpässe.
„Überschuldung ist längst kein Randphänomen mehr. Immer häufiger betrifft sie Menschen mit geregeltem Einkommen“, so Verena Dahlke. Hohe Mieten, teure Energie und die anhaltende Inflation hätten viele Haushalte stark belastet. „Wer dann noch Kredite oder Ratenkäufe laufen hat, gerät schnell ins Straucheln.“
Unterschiede zwischen Städten und Stadtteilen
Innerhalb des Bundeslandes Bremen zeigt sich ein erhebliches Gefälle: Während Bremen-Stadt mit einer Quote von 10,86 (2024:10,54) bereits deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt, ist die Lage in Bremerhaven noch einmal dramatischer. Dort kletterte die Überschuldungsquote auf 18,33 Prozent.
Bremerhaven ist damit auf Platz 400 von 400 das Schlusslicht unter den Deutschen Städten. Creditreform nennt als Gründe unter anderem hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Einkommen sowie steigende Wohn- und Energiekosten.
„Bremerhaven zeigt exemplarisch, wie soziale und wirtschaftliche Faktoren zusammenwirken“, erklärt Peter Dahlke. „Wenn Einkommen stagnieren, aber alle Lebenshaltungskosten steigen, wird Überschuldung zum strukt urellen Problem und zum Alltagsthema für viele Menschen.“
In Bremen-Stadt sind es vor allem die Stadtteile Oslebshausen/Ohlenhof (Schuldnerquote 23,10%), Gröpelingen (20,41%) und Altstadt/Bahnhofsvorstadt (18,15%), in denen überdurchschnittlich viele Menschen überschuldet sind. Am wenigsten Überschuldete leben in Riensberg/Schwachhausen (3,75%), Oberneuland (4,16%) und Habenhausen/Arsten (4,42%).
Insbesondere junge Menschen machen Schulden
Der Schuldneratlas macht zudem deutlich, dass sich die Überschuldung zunehmend an den gesellschaftlichen Rändern manifestiert – sowohl bei jungen Menschen unter 30 als auch bei Älteren über 60. Während Jüngere vor allem durch Konsum, Kredite und Onlinekäufe Probleme bekommen, geraten ältere Menschen durch begrenzte Renten und steigende Fixkosten unter Druck.
„Wir beobachten eine neue Zweiteilung der Überschuldung: Die Jüngeren stolpern über Konsum und Onlinekäufe, die Älteren über strukturelle Knappheit. Dabei sehen wir immer häufiger Fälle, in denen ältere Menschen ihren Strom oder ihre Miete nicht mehr zahlen können, besonders wenn sie alleine leben“, berichtet Verena Dahlke. Die private finanzielle Stabilität vieler Haushalte sei erschöpft: „Es fehlt der Spielraum für Unvorhergesehenes.“ Gehe die Waschmaschine kaputt, sei oft kein Geld aus Rücklagen für einen Ersatz vorhanden.
Bei jüngeren, internetaffinen Menschen sind es die Buy-now-pay-later Angebote, die in die Schuldenfalle führen können. „Das Thema muss in Schulen aufgegriffen werden. Eine Gedichtinterpretation weniger schadet nicht. Dafür sollten jüngere Menschen sich mehr mit dem Thema Finanzen und Kredite auseinandersetzen“, fordert Peter Dahlke.
In der Gruppe der 30 bis 59-Jährigen sei eine Verschuldung am ehesten zu erwarten, so Verena Dahlke. Denn in dieser Lebensphase spielten Familiengründung und damit einhergehende höhere Kosten wie Immobilien und höhere Lebenshaltungskosten oftmals eine große Rolle.
Mehr Männer als Frauen betroffen
Typisch sei auch, dass insgesamt mehr Männer als Frauen verschuldet sind. Sie würden strukturell gesehen eher die Hauptlast für Familien tragen, so Verena Dahlke. Allerdings seien Männer auch risikofreudiger als Frauen.
Insbesondere alleinerziehende Frauen sind gefährdet, in die Überschuldung zu geraten.
Ausblick: Trend könnte sich 2026 verschärfen
Für die kommenden Jahre sind die Expertinnen und Experten von Creditreform wenig optimistisch. Höhere Zinsen, weiterhin hohe Preise und eine schwächelnde Konjunktur dürften die Lage eher verschlimmern.
Die Zahl der Ratenkredite liegen auf einem Allzeithoch, so Peter Dahlke weiter.
„Wir stehen erst am Anfang einer neuen Überschuldungswelle“, warnt Peter Dahlke. Er fordert mehr Aufklärung und Unterstützung für Verbraucherinnen und Verbraucher: „Wir brauchen eine Kultur der finanziellen Prävention – mehr Bildung, mehr Beratung und weniger Scham, über Geldprobleme zu sprechen.“
Zudem müsse die Schuldnerberatung besser aufgestellt und gestärkt werden. Ein langes Warten auf Termine führe bei vielen Betroffenen zu weiterer Resignation. „Wir sehen, dass das Hauptproblem beim Verlust des Überblicks über Verbindlichkeiten und Raten liegt. Lange Wartezeiten bei der Schuldnerberatung führen zu weiteren Ängsten“, weiß Verena Dahlke.
Weitere Infos zur Verteilung der Überschuldung gibt es hier.
Hilfe finden Betroffene bei der Schuldnerhilfe Bremen sowie bei der Verbraucherhilfe Bremen.






