„Ich kann mir kaum etwas anderes für mich vorstellen“, sagt Birgit Wille. Sie ist eine von zwei Seelsorgerinnen im RKK (Rotes Kreuz Krankenhaus) und leitet das Ethikkomitee des Hauses. Wille ist ausgebildete evangelische Pastorin, ihre Kollegin ist katholisch. „Wir verstehen unsere Arbeit ökumenisch, Konfession spielt oftmals keine Rolle, eher geht es um Begegnung und Beziehung“, erklärt Wille.
Die Seelsorge sei ein Angebot an Patientinnen und Patienten, aber auch an Angehörige – insbesondere wenn deren Familienmitglied auf der Intensivstation liegen muss. „Wir gehen auf die Menschen zu, kommen in Kontakt mit denjenigen, denen ein Besuch gut tun würde“, sagt Wille. Manchmal würde aber auch direkt nach ihnen gefragt.
Vor dem eigentlichen Gespräch gehe es oft zunächst darum, einen sicheren Raum zu schaffen, damit die Menschen offen sprechen können. So manchem falle es anfangs schwer, die richtigen Worte für das zu finden, was ihn oder sie beschäftigt, weiß Wille, die seit zwölf Jahren am RKK arbeitet.
Davor war sie lange Zeit am Diako als Seelsorgerin im Einsatz. Seit 2001 ist die 56-Jährige in Bremen, war vorher Gemeindepfarrerin im Rheinland.
Seelsorgerin ist für alle da
Auch für Mitarbeitende des RKK sind die Seelsorgerinnen da. „Es ist ganz unterschiedlich, was die Menschen brauchen. Wir versuchen die Signale zu verstehen und sensibel zu reagieren. Wir sind erstmal einfach präsent“, sagt Wille.
Wenn jemand aber überhaupt keinen Kontakt zu ihnen möchte, ist das auch in Ordnung. „Wir respektieren die Weltanschauung und den Glauben des Gegenübers. Mit den Patienten suchen wir nach Hoffnung und Sinn in der konkreten Situation, in dem Wissen, dass manches nur ausgehalten werden kann“, sagt Wille.
Viele Gespräche drehen sich auch um Themen außerhalb des Krankenhauses und insbesondere unter den älteren Patienten treffe sie Menschen, die dank eines Gesprächs zum ersten Mal merken, dass es ihnen mental besser geht, wenn sie über Erlebtes sprechen.
Die Seelsorgerinnen sind auch außerhalb der Dienstzeiten erreichbar und vertreten sich in ganz Bremen an den Wochenenden. Sie können so gerufen werden, wenn ein Mensch im Sterben liegt, um ihn und die Angehörigen zu begleiten.
Ethikkomitee unterstützt in schwierigen Fällen
Zusätzlich zu ihrer Arbeit auf den Stationen des RKK leitet Wille auch das Ethikkomitee des Krankenhauses. „Manchmal ist nicht eindeutig klar, was die beste Behandlung für einen Patienten ist. Das ist häufig dann der Fall, wenn dieser Mensch sich nicht mehr äußern kann“, erklärt die Seelsorgerin.
Wenn in einer solchen Situation keine Patientenverfügung vorliegt, kann das Ethikkomitee zur Unterstützung angefragt werden. Zwei Mitglieder des Komitees laden die an der Entscheidungsfindung Beteiligten zu einem Gespräch ein.
So werde ein Raum eröffnet, in dem die verschiedenen Perspektiven gehört werden. Es werde dann auf der Basis medizinethischer Prinzipien ein Weg gefunden, den alle mitgehen können. „Dass alle Beteiligten um einen Tisch sitzen, kann schon eine große Hilfe sein“, sagt Wille.
Wenn möglich, nehmen auch Angehörige an dem Gespräch teil. Die Angehörigen gewinnen für sich mehr Sicherheit in schwierigen Situationen und können ein wenig Verantwortung abgeben. Das zwölfköpfige Komitee trifft zudem sich viermal jährlich zum Austausch über ethische Themen und aktuelle Entwicklungen, außerdem plant es Fortbildungen zum ethischen Diskurs im Haus.
Auf Menschen und Geschichten einlassen
Die Schicksale der Menschen begleiten die Seelsorgerin auch bis nach Hause. „Man muss selber gut auf sich aufpassen. Dafür ist mir Bewegung sehr wichtig. Ich trete manche Sachen dann in die Pedale meines Fahrrades oder gehe raus in die Natur“, sagt Wille, die leidenschaftlich gerne liest.
So bekomme sie den Kopf frei und könne sich am nächsten Tag wieder gänzlich auf die Menschen und ihre Geschichten einlassen.
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