Moderne Tiergartenbiologie
Mitte letzten Jahrhunderts begründete der Schweizer Zoologe und Zoodirektor Dr. Heini Hediger die moderne Tiergartenbiologie. Im modernen Zoo gibt es hiernach vier gleichberechtigte Säulen: Erholung, Bildung, Naturschutz und Forschung. Mit Hedigers Worten bedeutet dies: Der Zoo ist ein Erholungsraum für die Stadtbevölkerung und stellt damit einen Notausgang zur Natur dar. Er ist eine Informationsquelle auf dem Gebiet der Natur, insbesondere der Tierkunde, und dient somit allgemein der Bildung. Der Zoo betreibt Naturschutz und schützt gefährdete Arten (Zuchtstation & Refugium: „Asylgewährung für bedrohte Arten“). Der Zoo beteiligt sich an wissenschaftlicher Forschung und untersucht vor allem das Tierverhalten.

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Tierschutzgesetz gilt auch für Tiere im Zoo
Paragraf 1 unseres Tierschutzgesetzes lautet: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Dieses Gesetz gilt bei uns fraglos auch für die Haltung von Tieren im Zoo. Das Dasein in einer zoobiologisch handlungsrichtigen Haltung ist für Tiere mit keinen Defiziten verbunden. Da Tiere im Zoo gut gepflegt sowie tiermedizinisch betreut werden und hier auch keine Feinde haben, werden Zootiere heute meist älter als ihre Artgenossen im natürlichen Lebensraum. Der Tod ist der größtmögliche Schaden für ein Lebewesen. Ist ein Tier unheilbar erkrankt oder schwer verletzt, so liegt tierschutzrechtlich ein vernünftiger Grund zur Tötung dieses Tieres vor. Dürfen Zoos aber gesunde Individuen töten, obwohl diese eigentlich als Pfleglinge unter ihrem Schutz stehen?
Tötung durch Zoo hochumstritten
Das Töten gesunder Zootiere ist bei uns hochumstritten. Tierschutzorganisationen wie der Deutsche Tierschutzbund kritisieren diese Praxis scharf und fordern eine strengere Regulierung der Nachzucht. „Keinesfalls darf Töten im Nachgang mittels der Verfütterung des betreffenden Tieres oder durch das Verwenden ausgewählter Körperteile zu wissenschaftlichen Zwecken gerechtfertigt werden“, so die Bremer Tierschutz- und Wildtierexpertin Dr. K. Alexandra Dörnath. „Wenn Zootiere verfüttert werden, weil sie beispielsweise aus ,Platzmangel‘ erschossen wurden, wie kürzlich bei zwölf vom Aussterben bedrohten Guinea-Pavianen in einem deutschen Tiergarten geschehen, dann ist dies ethisch, juristisch und in Bezug auf die Kultur der Zootierhaltung anders zu bewerten, als wenn sie zu ihrer Verfütterung getötet werden“, betont die Leiterin der Tierarztpraxis Klein Mexiko und des Exoten-Kompetenz-Centrums. Selbst der Tierhaltung gegenüber positiv eingestellte Fachleute seien hier kritisch und auch weiten Teilen der tierhaltungsfreundlichen Öffentlichkeit dürfte dies nicht vermittelbar sein, fährt Dörnath fort.

Ist es anders zu bewerten, wenn ein gesunder Wiederkäuer, hier eine majestätische Schönheit aus der Savanne, ein Kudu-Bulle, im Zoo aus Platzgründen getötet wird, als wenn ein erheblicher Teil aus einer gruppenterritorialen Einheit gesunder Affen erschossen wird? Foto: Sascha Reuen auf Pixabay
Falle naturalistischer Fehldeutungen
„Wenn einerseits argumentiert wird, dass in menschlicher Obhut kranke Tiere medizinische Hilfe, schwache Tiere Pflege und ältere Tiere weiterhin Versorgung mit Futter erhalten und dies als dem Wohlergehen von Tieren förderlichen Vorteil eines Lebens im künstlichen Lebensraum herausgestellt wird, hingegen die Idealisierung des Lebens im natürlichen Habitat als ,naturalistischer Fehlschluss‘ zurecht kritisiert wird, so kann andererseits im Zoo der Wert eines Tieres nicht auf seinen Zuchtwert, sein genetisches Material, reduziert werden“, sagt der Tierethiker Dr. Bernhard Eisel. „Zoos können nicht verschiedenste Probleme, die in Tierhaltungssystemen auftreten können, durch Töten ,lösen‘“, betont Eisel. Sonst gerieten sie selbst in die Falle der naturalistischen Fehldeutungen der Tierhaltungsgegner resp. Tierrechtsdogmatiker.
Zoo als Ort der Freude
„Zoos sind in der deutschen Gesellschaft fest verankert und zählen zu den meistbesuchten Freizeiteinrichtungen“, weiß der Pädagoge und Biologe Dirk Candidus. „Sie sind ein fester Bestandteil der Kindheit vieler Menschen. So ist auch die starke emotionale Bindung vieler Menschen zum Zoo zu erklären“, fährt er fort. Sie seien Orte der Freude und nicht des Tötens. „Artenschutz ist eine herausragende Aufgabe der Zoos, aber, für den Artenschutz töten‘, widerspricht der Aussage, Tiere seien im Zoo in menschlicher Obhut“, betont Tierärztin Dörnath. Nicht nur der aus Dänemark tönende Ruf nach Haustierspenden für die Ernährung gehaltener Wildtiere beeinflusse unsere Zookultur negativ, fährt sie fort.
„In einem Zoo muss eine Öffentlichkeit, welche noch nicht von der Tierrechtsideologie vereinnahmt ist, Tieren gegenüberstehen, von welchen sie den berechtigten Eindruck gewinnt, dass sie sich wohl fühlen. Wenn Tötungen mehr als Ausnahmen sind und wie ein Damoklesschwert über allen Tieren hängen, wird der Besuch hingegen durch Mitleid vergällt,“ ordnet Tierethiker Eisel ein.
Verschieben der ethischen Verantwortung
„Zur Produktion der ,Überzahl‘ von Tieren in Zoos kommt es ja durch die ökonomisch rationale Kalkulation, dass Tiergeburten und das Zeigen von Jungtieren die Besucherzahlen steigern“, betont die Naturphilosophin Dr. habil. Christine Zunke. Insbesondere sei dies so bei populären Tieren wie Affen und Großkatzen. „Wenn die Tiere dann wachsen, erfüllen sie diesen Zweck nicht mehr, brauchen Platz und entsprechende Haltungsbedingungen. Sie werden also unökonomisch und müssen entsorgt werden“, so Zunke.
Viele Zoos müssten permanent hart über öffentliche Zuschüsse verhandeln – und im Zweifelsfall müsste am Tierwohl gespart werden. „Die ethische Verantwortung wird dann wie ein schwarzer Peter zwischen Politik und Zooleitung hin- und hergeschoben, da beide Seiten sich unter ökonomischen Sachzwängen sehen“, erkennt die renommierte Philosophin. So komme es dann zu dem Widerspruch, dass alle Beteiligten Tierschutz und Tierwohl wichtig fänden, aber dennoch nicht danach handelten. „Auch die Tötung der Paviane war gewiss nicht alternativlos – aber die Alternative war bestimmt teurer als die gewählte Lösung“, bringt es Zunke auf den Punkt.
„Sollte diese Paviantötung straffrei bleiben, wird dies der Freibrief für Tiertötungen im Zoo werden“, befürchtet der amtliche Tierarzt i. R. Dr. Winfried Kirchner, der viele Jahrzehnte behördlich für Tierschutz tätig war. „Wieso einen derartigen Freischein dann nicht gleich für alle Tiere, auch in privater und in landwirtschaftlicher Haltung, erstellen?“, fragt Kirchner. Wenn die Fellfarbe also nicht mehr zur neuen Tapete passe, habe man dann etwa die Option, das Tier zu entsorgen? „Wollen wir dahin?“, fragt der Tierschutzexperte. „Ganz sicher nicht!“ sind sich die Kollegen Kirchner und Dörnath einig.

Der Wasserbock ist einer der majestätischen Schönheiten Afrikas. In den europäischen Zoos sieht man ihn allerdings nicht häufig. Foto: Bollmann
Doppelte Sozialisation als Bereicherung
Verschiedene deutsche Zoos töteten kürzlich gesunde Großkatzenwelpen, nachdem ihre Mutter sie abgelehnt hatte. Handaufzuchten sind bei Tieren, die arttypisch Jungtiere mitunter nicht annehmen, oft alternativlos und im Normalfall unproblematisch. „Ihr Resultat führt zur doppelten Sozialisation, die keine Belastung, sondern eine Bereicherung für das Tier darstellt“, so hatte es der inzwischen verstorbene Zoologe Dr. Thomas Althaus in der Vergangenheit erklärt.
„Immer muss der Einzelfall juristisch beurteilt werden“, betont die auf Tierschutzrecht spezialisierte Rechtsanwältin Gianna Chiappa. „Einfache Behauptungen reichen nicht aus, um bestimmte Möglichkeiten als mildere Mittel auszuschließen“, weiß die erfahrene Juristin. Chiappa verweist auf das Magdeburger Tiger-Urteil, nach dem in Zoos die Zuchtplanung so zu erfolgen habe, dass die Unterbringung der Nachkommen in jedem Fall gesichert sei.

Die Expertin Dr. Alexandra Dörnath aus der Tierarztpraxis Klein Mexiko Foto: Bollmann
Leben bewahren für den Artenschutz
Sollen Zoodirektoren also die Lizenz zum Töten haben? Falls ja, welche Maßstäbe würden dann angelegt? Werden möglicherweise demnächst gesunde Delfine an Eisbären, gesunde Robben an Schwertwale, gesunde Elefanten an Löwen und gesunde Gorillas an Leoparden verfüttert? Oder bewahren Schönheit, kognitive Fähigkeiten, die ausgebildete Dichte von Schmerzrezeptoren, die ökologische Bedeutung oder vielleicht die Menschenähnlichkeit eines Tieres das jeweilige Individuum vor seinem Tod?
„Zoos, in denen der Mensch vom Behüter der Tiere zu ihrem Feind wird – solche Zoos sind keine gute Vorstellung“ bringt es Wildtier-Expertin Dörnath auf den Punkt. Dürfen Zoos also gesunde Zootiere töten? „Statt ,Töten für den Artenschutz‘ muss der Ansatz sein, ,Leben bewahren für den Artenschutz‘“, so die Tierärztin. Zum einen sei ein Zoo schließlich kein Schlachthaus, und zum anderen sei ein Zoo nicht dazu da, die Grausamkeiten der Natur nachzustellen. Sonst nämlich geriete dieser selbst in die Falle des naturalistischen Fehlschlusses. Zoos, die gesunde Tiere töten, bezeichnet Dörnath übrigens als ‚postmoderne Zoos‘. Genau wie solche, die die Interaktion zwischen Tier und Mensch auf ein Minimum reduzieren.
■ Falls Ihnen ein Thema rund um einheimische Wildtiere und auch Exoten unter den Nägeln brennt, schreiben Sie uns einfach unter martin.bollmann@weserreport.de eine Mail. (mb)





