Autor Olaf Kretschmer Foto: Gößler Autor Olaf Kretschmer Foto: Gößler
Mit Leseprobe

Bremen-Roman über Nachtschichten auf dem „Bock“

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Dieser Viertel-Roman entführt ins Milieu – auf Rädern. Denn „Taxifalle“ handelt von dem, was Fahrer mit ihren Passagieren so alles erleben. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind – selbstverständlich – rein zufällig.

Ich treffe den Autor Olaf Kretschmer am Taxistand – sozusagen als „Warm up“ für den Bericht über ein Buch, von dem ich nachhaltig begeistert bin. Denn der Mann aus dem Viertel hat sein Wirtschafts-Studium mit Nachtschichten auf dem Bock finanziert, und dort so einiges erlebt.

Dabei muss ich zunächst grinsend an ein Kapitel denken, in dem er von einem Passagier schreibt, der sich lediglich über die kurze Strecke von 100 Metern fahren ließ. Auf dem Taxameter standen 4,60 Mark. Der angetrunkene Fahrgast zahlte hingegen 101,20 DM. „Er hatte das Radio im Visier, mit dem UKW-Sender von Bremen Vier“, berichtet der Verfasser von „Taxifalle“.

Gebühr für unzählige Beleidigungen

Es sei ihm wirklich passiert.  Er habe damals gestutzt und ein paar Sekunden überlegt, dem Kunden die überschüssige Kohle auszuzahlen. „Das habe ich allerdings nicht getan, sondern sie als Gebühr für unzählige Beleidigungen gesehen, die ich in fünf Jahren auf dem Bock erleben musste.“

Kretschmer beschreibt also doch authentische Figuren in einem authentischen Umfeld. „Ich musste beim Schreiben nur wenig erfinden. Einiges ist jedoch ziemlich überzeichnet“, erklärt der 50-Jährige.

Schäferstündchen in der Droschke

In dem Zusammenhang erwähnt er eine Szene, in der der Protagonist seines Buches die Droschke einem Ehepaar für ein Schäferstündchen überlassen sollte. Dieses wünschte sich, dass der Fahrer dabei zusieht. „Eine Story, die ein bisschen übertrieben ist. Im Gegensatz zu meiner Hauptperson Marcus Meyer musste ich nicht als Voyeur herhalten“, so der Fernsehredakteur.

Als ehemaliger Radioreporter weiß er, Bilder im Kopf zu erzeugen. Manchmal auch unschöne, beispielsweise als er den Geruch eines Fahrgast beschreibt, der außerhalb jeglicher olfaktorischen Richterskala“ liegt“.

Ein Mercedes als „Trinkgeld“

Unglaublich hingegen klingt jene Episode, in der Kretschmer schildert, wie Meyer von einer Kundin einen  Mercedes Strich-Achter Coupé 280 C als „Trinkgeld“ bekam – einfach so. „Auch da musste ich nicht auf meine Fantasie zurückgreifen“, betont der gebürtige Bremer.

Das Ende des Werkes, das ich hier nicht verraten will, sei hingegen frei erfunden. Es geht im Groben darum, dass die Hauptperson, die immer mehr zum Mistkerl mutiert, aber nie die Restsympathien des Lesers verliert, seinem Chef übel mitspielt.

„Wir haben ja nicht nur den Sud der Gesellschaft gefahren, sondern gehörten selbst dazu.“ Entsprechend respektlos, frivol und anzüglich sind also manche Schilderungen.

Bremen von einer anderen Seite

Aber eben dies macht „Taxifalle“ aus. Ein Debütroman, der Bremen von einer anderen Seite zeigt, der aber nicht nur Hanseaten in seinen Bann ziehen wird.

Taxifalle ist unter der ISBN-Nr. 978-3-95651-111-0 im Kellner Verlag erschienen. Eine erste Autorenlesung gibt es am 22. September, ab 19 Uhr im Lagerhaus.

 

LESEPROBE

Wie kann man nur so weit herunterkommen? Diese
vergilbte, khakifarbene Baumwolljacke, Jeans,
wahrscheinlich von Aldi, der gesamte Typ einfach nur ein
schmieriger Sack. Er sieht unfreundlich aus, mit einer Alkoholfahne,
die mich schon am Eingang in Empfang nimmt.
Wie alt mag er sein? Es gibt Menschen, bei denen das Alter
nur schwer einzuschätzen ist. So um die fünfzig könnte er
sein, wahrscheinlich etwas jünger, seiner Spielsucht vollkommen
erlegen im Automatenkasino am Breitenweg.
Was für ein erbärmlicher Ort. Glücksspielmaschinen,
auf amerikanisch getrimmt, aber ohne den dort üblichen
Zughebel an der Seite. Die bunten Bildchen, die das
Glück, das große Geld verheißen – der Jackpot steht heute
bei über einer Million –, werden über blinkende Knöpfe
gesteuert. Unrasiert, mit einer Haltung wie ein Mehlsack
hängt er über den tanzenden Rädchen, die Augen
gar nicht mehr interessiert am immer gleichen Drehen,
die Haare fettig, als ob er sie in der Friteuse gebadet hätte.
Und dann dieses charakteristische Schwarz von Daumen,
Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand. Nicht, dass der
Rest an ihm wirklich sauber wäre, aber das Schwarz dieser
drei Finger ist tief wie die Nacht. Wie viele Münzen
sind heute Abend durch diese Finger geglitten, mechanisch
in den Schlitz geworfen? Diese Maschinen fressen
Münzen im Akkord. Woher hat er das Geld dafür, warum
hat so ein abgerissener Typ so viel Geld, dass seine Finger
schwarz davon sind?
Das also ist mein Fahrgast. Meinetwegen, ich habe
schon Schlimmere gefahren. Hauptsache, er kann noch
zahlen. Ich hasse Fehlfahrten.

»Hallo? Ihr Taxi ist da.« Wie oft habe ich diesen Satz in
den letzten Jahren Nacht für Nacht gesagt?
Keine Antwort, kein Nicken, gar nichts. Hat der Typ
mich überhaupt bemerkt? Egal, raus hier, irgendwann
wird er schon kommen …
Neun Jahre Wesertaxi … Damals, nach dem Zivildienst,
hielt ich es für eine verdammt gute Idee, mein Geld
in der »Kraftdroschke« zu verdienen. Neben dem Studium,
ideal, freie Zeiteinteilung, mal mehr, mal weniger,
völlig flexibel und die Kohle schwarz auf die Hand. Ich
weiß auch nicht, wie das passierte. Aber aus zweimal die
Woche Taxi und vier Tagen Uni wurden innerhalb weniger
Monate sechs Tage Taxi – und die Universität habe ich
nur noch gesehen, wenn ich jemanden hinbringen musste.
Dafür ständig nachts »auf dem Bock«. Wesertaxi, das
ist ein Unternehmen, ungefähr so schmierig wie der Typ,
auf den ich gerade warte. Mein Boss schmiert Kneipenwirte,
damit sie nur uns rufen. 80 Prozent Besoffene, alle
Schichten zwar, aber ab einer gewissen Promillegrenze
spielt es überhaupt keine Rolle mehr, wo du herkommst
und was du bist …
Es wird Zeit, noch mal reinzugehen. Ich will hier nicht
ewig warten und würde vielleicht doch ganz gerne noch
ein bisschen Geld verdienen. Der Spielsüchtige hängt immer
noch mit glasigen Augen über der Slot-Maschine. Ich
tippe ihn an die Schulter, versuche, freundlich zu bleiben.
»Hey, ihr Taxi ist da …«
Die Antwort kehlig, gesprochen von Stimmbändern,
die durch jahrelangen Alkoholmissbrauch rau wie die
Mondoberfläche geworden sind.
»Ja, verdammt, ich komm gleich!«
Ich weiß genau, was das bedeutet: Es interessiert ihn
einen Scheißdreck, ob ich da draußen sitze und auf ihn
warte. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, in Selbstmitleid
aufzugehen, weil er heute ein kleines Vermögen in der

Maschine versenkt hat, ohne Sinn, ohne Verstand. Aber
egal … freundlich bleiben, zur Not dreimal reingehen.
Mein Boss, der von allen nur »der Fette« genannt wird,
hat da klare Anweisungen gegeben. Wer den Sud der Stadt
aus den Kneipen holt, muss freundlich bleiben und darf
nicht zimperlich sein. Und »der Fette« war noch nie zimperlich.
Sein Geld hat er als Lude in Hamburg gemacht, bevor
er in den 70er-Jahren die ersten Taxis in Bremen kaufte.
Im Prinzip hat sich für ihn nicht viel verändert: Er schickt
Leute auf die Straße und kassiert die meisten Prozente.
Zeit für meinen dritten Gang. Zeit für die ultimative
Drohung, die Geschwindigkeit in die Sache bringt.
»Okay, ich habe jetzt lange genug gewartet, ich mach
den Wecker an!«
Keine Reaktion. Aber das ist mir vollkommen egal. Ich
setze mich ins warme Taxi und drücke auf die Uhr. 3,60
Mark Anfahrt. Davon gehören 40 Prozent mir. Wow, 1,44
Mark in zehn Minuten. Verdammte Scheiße, warum hab
ich nur nichts Anständiges gelernt!
4,20 Mark sind auf der Uhr, als mein Fahrgast endlich
aus dem Casino taumelt. Schon das Öffnen der Tür
macht ihm Probleme. Muss wohl ziemlich schwierig sein,
an einem Griff zu ziehen … Ich öffne die Tür von innen,
und der Typ plumpst auf den Beifahrersitz. Was für eine
Fahne! Normale Menschen würden sich jetzt über eine
kurze Tour freuen. Aber Taxifahrer sind nicht normal,
schon gar nicht, wenn sie bei Wesertaxi fahren. Sie sind
Glücksspieler. Und lange Touren bedeuten viel Geld, und
Geld ist der einzige Grund, warum wir diesen Scheißjob
nachts machen.
»Wo soll’s denn hingehen?«
»Zum Bells!«
Zum »Bells«. Das muss man sich mal vorstellen. Das
»Bells« passt prima ins Bild: eine Kneipe genauso schmierig
wie der Typ, genauso schmierig wie Wesertaxi. Und

was das Schlimmste ist: Es liegt etwa 150 Meter entfernt
in der gleichen Straße. Hun-dert-fünf-zig Meter. Ich habe
eine halbe Ewigkeit auf diesen Kerl gewartet, um ihn ein
paar Häuser weit zu kutschieren. Ich fange an, den Abend
zu hassen. Es ist kurz nach sieben. Meine erste Tour. Egal,
die Nacht ist lang, alles kann passieren, und noch ahne ich
nicht, dass ein Hauptgewinn in meinem Wagen sitzt.
Routiniert lenke ich den Mercedes-Diesel auf die Straße
und gebe Gas. Komisch, dass mir Autofahren nach
neun Jahren immer noch Spaß macht. Beschleunigen auf
80. Bremsen, wir sind da.
4,60 Mark auf der Uhr. Ich komme gar nicht dazu, danach
zu fragen. Der Typ geht plötzlich ab wie eine Rakete,
regt sich auf, fängt an zu schreien.
»Schweinerei! So bin ich ja noch nie reingelegt worden,
so eine verdammte Sauerei, das ist Betrug …«
Was will der? Wo bitteschön ist das Problem?
»Arschloch, das hab ich passend, da gibt’s kein Trinkgeld.«
Es gibt Momente, da schweige ich lieber. Es geht hier
um popelige 4,60 Mark. Wie oft ich schon als Arschloch
tituliert wurde, kann ich nicht mehr zählen. Und doch
frage ich mich, was den Typ so auf die Palme bringt.
Er zückt sein Portemonnaie und legt mir abgezählt
101,20 Mark auf die Mittelkonsole. Beim Aussteigen hat
er keine Probleme. Adrenalin macht nüchtern.
Was war das jetzt?, frage ich mich und gucke staunend
auf den Hunderter und das Kleingeld. Passend hat er gesagt.
Mit anderen Worten: Das stimmt so! Und doch würde
mich jetzt interessieren, warum da so viel Geld liegt.
Die Antwort ist so banal, so unfassbar, dass mir die Geschichte
hinterher bestimmt keiner glaubt. »Radio Bremen
4« ist die Antwort. Sendefrequenz: 101,2 Megahertz.
Der Typ hat auf das Radio und nicht auf die Uhr geguckt.
Bingo. Viertel nach sieben und den ersten Hunni netto in
der Tasche. Das verspricht eine tolle Nacht zu werden …

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