Gertraud Huisinga (l.) und Regina Aschmann kritisieren die angegebenen Portionsgrößen scharf. Foto: Schlie Gertraud Huisinga (l.) und Regina Aschmann kritisieren die angegebenen Portionsgrößen scharf. Foto: Schlie
Interview

Verbraucherschützer kritisieren neue Nährwertampel

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Jahrelang haben Verbraucherschützer eine Nährwertampel auf Lebensmitteln gefordert. Jetzt wollen einige Unternehmen diese einführen – aber die Mitarbeiter der Verbraucherzentrale kritisieren das Werbemasche.

 

Weser Report: Sechs große Lebensmittelkonzerne haben angekündigt, ihre Lebensmittel künftig mit Nährwertampeln zu versehen. Wie funktionieren die überhaupt?

Regina Aschmann: Sie sollen anzeigen, wie hoch der Gehalt von Zucker, Fett, Salz und gesättigten Fettsäuren ist. Die Ampel ist in Großbritannien entwickelt worden, wo sie auch verpflichtend ist, aber bei uns gab es sie bisher nicht.

Gertraud Huisinga: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und andere Organisationen haben Mengen vorgegeben, die ausreichend sind, um den Nährwertbedarf abzudecken. Sie beziehen sich immer auf 100 Gramm beziehungsweise 100 Milliliter. Daraus haben unsere Kollegen von der Verbraucherzentrale Hamburg die Nährwertampel gebaut.

Obwohl Verbraucherschützer die Ampel lange gefordert haben, kritisiert die Verbraucherzentrale ihre Einführung als „Werbemasche“. Warum?

Aschmann: Der Haken ist: Die angegebenen Portionen auf Verpackungen sind schon jetzt nicht realistisch. Wenn man die Portionsgrößen künstlich klein rechnet, ist auch zum Beispiel der Zuckergehalt gering und im grünen Bereich. Wenn Verbraucher in unseren Kursen Portionsgrößen schätzen sollen, sind sie immer überrascht.

Huisinga: Eine Portion Müsli hat laut Packungsangabe zum Beispiel 40 Gramm. Das sind knapp drei Esslöffel. Wenn wir Verbraucher fragen, schätzen sie die Portionsgrößen aber locker doppelt so hoch ein.

Aschmann: Eine Portion Chips wiegt laut Herstellerangaben nur 30 Gramm. Es ist schön, wenn jemand so beherrscht sein kann und sich daran hält. Realistisch ist das aber nicht.

Sie fordern, die Bezugsgröße müsste immer 100 Gramm sein. Aber man ist doch nicht von allen Lebensmitteln gleich große Portionen.

Aschmann: Man muss eine gleiche Bezugsgröße haben, sonst kann man nicht vergleichen.

Huisinga: Und wenn das bedeutet, dass ein Lebensmittel laut Nährwertampel rot ist, heißt das ja auch nicht, dass man es auf keinen Fall essen darf, sondern nur, dass man aufpassen muss, nicht zu viel davon zu essen.

Wer krank ist und im Laufe eines Tages eine Tüte Hustenbonbons lutscht, hat schon mal 17 Würfelzucker gegessen. Das ist irre. Die Ampel soll dabei helfen, die einzelnen Nährwerte greifbarer zu machen.

Wie können Verbraucher auch ohne Ampel empfehlenswerte Lebensmittel entdecken?

Huisinga: Am besten ist es, möglichst viele Nahrungsmittel zu kaufen, die wenig industriell verarbeitet sind, also Naturjoghurt statt Sahnejoghurt und Milch statt Milchmixgetränk.

Und was ist mit der Zutatenliste auf den Produkten?

Huisinga: Das ist häufig schwierig. Zum Beispiel gilt bei der Aufzählung nur unser Haushaltszucker als Zucker. Deshalb führen Hersteller in den Zutatenlisten oft andere Zuckerarten auf, etwa Fructose-Sirup, Dextrine oder Maltose. Bei den Inhaltsstoffen steht Zucker dann nicht mehr vorne, obwohl wahnsinnig viel davon drin ist.

Aschmann: Selbst mit den Nährstoffangaben auf der Verpackung können Verbraucher nicht einschätzen, ob die Werte hoch sind. Um das zu können, ist die Nährwertampel ein gutes Instrument.

Warum sollen Verbraucher überhaupt stärker auf die Nährstoffe in Lebensmitteln achten?

Huisinga: Es spricht nichts dagegen, mal einen Schokoriegel zu essen. Aber wir essen zwischendurch auch einen Fruchtjoghurt, von dem wir denken, dass er gut ist, vermeintlich gesundes Müsli und trinken dann noch ein Milchmixgetränk. Es ist einfach oft zu viel des Guten. Und das ist die Ursache für viele Zivilisationserkrankungen, wie etwa Herz-Kreislauf-Beschwerden.

Gibt es eine Faustregel, wie viel Fett, Zucker und Eiweiß gut sind?

Huisinga: Man sagt, 50 Prozent der Ernährung sollten Kohlenhydrate, 20 Prozent Eiweiß und 30 Prozent Fett sein.

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