Im Garten haben die Bewohner ein Hochbeet angelegt, in dem Sven (l.) und Niklas (r. ) auch Tomaten und Zucchini züchten. Foto: Schlie Im Garten haben die Bewohner ein Hochbeet angelegt, in dem Sven (l.) und Niklas (r. ) auch Tomaten und Zucchini züchten. Fotos: Schlie
Wohngemeinschaft

Inklusive WG: Gemeinsam auf eigenen Beinen

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In Schwachhausen hat der Martinsclub eine besondere Form des Zusammenlebens ins Leben gerufen.

Sven ist noch immer ganz begeistert. Er hat Michael Wendler, Pietro Lombardi, die Hermes House Band und einen Klaus von den beiden Kläusen auf der Bürgerweide bei Bremen Olé gesehen. Und obwohl es gar nicht sein Musikgeschmack ist, hat sein Mitbewohner Niklas ihn und Florian begleitet, ganz spontan.

„Und es hat wirklich Spaß gemacht“, sagt Niklas. Er lebt in der ersten inklusiven Wohngemeinschaft des Martinsclubs.

Pädagogische Begleitung für das WG-Projekt

An diesem Abend ist Carolin Scheurell in der Wohngemeinschaft zu Gast und lässt sich von dem Konzertbesuch der drei Männer berichten. Insgesamt leben in der Wohnung acht Personen zusammen.

Carolin arbeitet beim Martinsclub (MC) und ist die pädagogische Begleitung der Wohngemeinschaft. Zweimal wöchentlich ist sie vor Ort, geht mit den Bewohnern Aktuelles wie Termine durch und plant die anstehenden Tage.

„Wenn zum Beispiel jemand zum Arzt muss, schauen wir ob eine Begleitung notwendig ist. Wir planen Urlaubsabwesenheiten oder besprechen WG-Themen“, sagt Carolin. „Es ist für uns alle ein essenzieller Termin, da wir ja sonst kaum mal alle zusammenkommen“, sagt Niklas.

Der 26-Jährige lebt gemeinsam mit den anderen sieben zusammen. Vier der Mitbewohner haben eine Einschränkung, die anderen vier studieren oder machen eine Ausbildung und sind beim MC als Betreuungskräfte angestellt.

Übergang vom Leben zu Hause bis zur eigenen Wohnung

Initiiert hat das Wohnprojekt Nico-Alexander Oppel, Fachleiter Wohnen beim MC. Er hatte solche inklusiven Wohngemeinschaften schon in anderen Bundesländern gesehen.

„Die vier Studenten erhalten ein Gehalt, mit dem sie ihre Miete refinanzieren können. Sie haben keinen strikten Dienstplan, müssen also Stunden nicht nachweisen“, sagt Oppel. Die Wohngemeinschaft soll auch als eine Art Übergang vom Leben zu Hause bei den Eltern bis zur eigenen Wohnung dienen – ganz gleich für welchen der Mitbewohner.

Zweimal wöchentlich kommen die Mitbewohner, HEP-Schüler Florian (2. v. l.) und die pädagogische Begleitung Carolin Scheurell (r.) zusammen, um über aktuelle Dinge zu sprechen.

Zweimal wöchentlich kommen die Mitbewohner, HEP-Schüler Florian (2. v. l.) und die pädagogische Begleitung Carolin Scheurell (r.) zusammen, um über aktuelle Dinge zu sprechen.

Von der ersten Idee bis zum Einzug der Bewohner vergingen fast drei Jahre, im Mai 2017 war es dann so weit. Auf 260 Quadratmetern bezogen acht junge Leute jeweils ihr eigenes Zimmer, eine Gemeinschaftsküche, Wohnzimmer sowie vier Bäder und einen Garten.

Jeder bezahlt seine Miete

Das Haus in Schwachhausen hatte der MC erworben und barrierefrei umgebaut. Heute leben die acht WG-Mitglieder auf zwei Etagen, zwei weitere Wohnungen im Haus werden vermietet. Auch die Mitbewohner der inklusiven WG zahlen eine normale Miete. „Sie übernehmen hier keine pflegerischen oder pädagogischen Aufgaben, sondern helfen im Alltag“, sagt Carolin. Für alles andere komme je nach Bedarf ein Pflegedienst.

Im Alltag bedeutet die Hilfe beispielsweise, morgens darauf zu achten, dass alle rechtzeitig aufstehen und ihren Tag vorbereiten. „Manche von uns machen sich schon abends ihre Brote fertig“, erzählt Niklas. Er absolviert gerade ein Praktikum beim MC und beginnt im September eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger (HEP).

Alles kann, nichts muss in der inklusiven WG

Nach dem Frühstück, an dem nicht immer alle teilnehmen, geht jeder seiner Wege, die vier Mitbewohner mit Beeinträchtigung gehen alle einer Beschäftigung nach: Nils beispielsweise arbeitet in der Tischlerei des Martinshofs in Bremen-Nord. „Dafür fahre ich jeden Tag mit dem Fahrrad und der Nordwestbahn nach Vegesack“, erzählt der 22-Jährige.

Gegen kurz vor vier Uhr am Nachmittag sind meistens alle wieder da. Einer der Studenten hat dann „Nachmittagsdienst“, ist also als Ansprechpartner vor Ort. „Dann haben wir ja noch unseren normalen Haushalt, Wäsche waschen und einkaufen und alles was so dazu gehört“, sagt Niklas.

Auch gemeinsame Mahlzeiten und Einkäufe 

Den Einkauf macht eigentlich jeder selber, manchmal gehen auch mehrere WG-Bewohner zusammen. Jeder hat sein eigenes Fach im Kühlschrank, das er oder sie selber füllt und leert. Dinge wie Toilettenpapier, Mehl und Kartoffeln werden aber aus der WG-Kasse bezahlt, in die jeder Mitbewohner monatlich einen festen Betrag einzahlt.

Unter der Woche wird eher selten gemeinsam gekocht, nur freitags kommen sie dann zum Kochen und Essen zusammen. „Das ist unser fester Termin“, sagt Niklas. Außerdem gibt es am Wochenende ein WG-Frühstück und ab und zu auch mal Grillabende. Diese Termine werden neben den Morgen- und Nachmittags-Diensten auf der großen Tafel in der Wohnküche eingetragen.

Nicht alles ist wie geplant

Die alltäglichen Abläufe waren schon lange vor dem Einzug der acht ein Thema. „Wir hatten sehr viele Interessenten und haben uns über Wochen regelmäßig getroffen. Ein Thema war zum Beispiel der gemeinsame Einkauf. „Manche Eltern haben sich auch gewünscht, dass immer gemeinsam eingekauft und möglichst auch gekocht wird. Das ist im Alltag aber bei so vielen Personen nicht praktikabel. Daraus ist dann aber das Freitagskochen entstanden“, erinnert sich Carolin.

Die meisten Dinge, die sich die Mitbewohner der inklusiven WG damals überlegten, haben bis heute Bestand. „Nur den Putzplan haben wir abgeschafft und ersetzt. Jetzt haben wir ein Putzspiel“, sagt Helmi.

Das Putzspiel spielen alle mit

Für jede ausgeführte Aufgabe erhält der jeweilige Mitbewohner eine bestimmte und vorher definierte Anzahl an Punkten. „Wer den Ofen putzt bekommt fünf Punkte, wer nur eine Ablage abwischt einen“, sagt Niklas.

Auf der großen Tafel in der Küche sind alle Dienste und wichtige Dinge notiert.

Auf der großen Tafel in der Küche sind alle Dienste und wichtige Dinge notiert.

Gewonnen hat, wer das Ziel als erster erreicht. Grundsätzlich muss aber jeder mit anfassen. „Der Gewinner darf sich vom Letzten etwas wünschen. Bei mir sind es Rosinen, Sven wünscht sich Sekt, Nils zum Beispiel ganz viel Schokolade“, verrät Helmi.

Einige WG-Mitglieder sind schon ausgezogen

Die 22-Jährige macht eine Ausbildung zur Ergotherapeutin und ist von Anfang an Bewohnerin der Wohngemeinschaft. „Ich hatte mich sogar als erste darauf beworben“, sagt sie. Eingezogen war sie 2017 gemeinsam mit ihrem Bruder. Der ist aber inzwischen in eine andere WG umgezogen. Und auch das damals jüngste WG-Mitglied wohnt heute nicht mehr dort, sondern gemeinsam mit ihrem Partner.

Für die Schlafzimmer ist jeder Bewohner selbst verantwortlich. Sven zum Beispiel mag es gerne ordentlich. „Wir achten nur manchmal darauf, dass zum Beispiel für Elternbesuch ein wenig aufgeräumt wird“, verrät Niklas. Ansonsten sind die Zimmer aber Rückzugsort und jedem selbst überlassen.

Hausgast Florian unterstützt

Ständiger Gast in der Wohnung der acht ist Florian. Der Heilerziehungspflegeschüler ist fast täglich zu Besuch, unternimmt etwas mit den vier Klienten oder ist einfach nur als Ansprechperson vor Ort.

„Diese Wohngemeinschaft ist eine ganz besondere Sache. Sven zum Beispiel hat seine ganz festen Abläufe, andere unternehmen auch gerne spontan etwas. Es ist einfach immer was los und ein wirklich cooles Angebot“, sagt der 24-Jährige.

Über die Schmerzen aufgeklärt

Als Nils etwa sagte, er wolle sich tätowieren lassen, informierte Florian sich, schaute sich nach einem geeigneten Studio um und warnte Nils vor den Schmerzen. „Wir haben ihn gut aufgeklärt, er wollte es aber trotzdem“, sagt Florian.

Seit März ziert nun also eine Werder-Raute den Oberarm von Nils. Und er ist noch nicht fertig: Ein Leverkusen-Emblem soll noch auf die andere Seite, außerdem gerne auch die ganze Brust voller Bilder sein. „Ich bin halt ein großer Fußball-Fan“, sagt Nils.

Grenzen verschwimmen

Einziehen möchte Florian, obwohl er fast zum Inventar der inklusiven WG gehört, aber nicht: „Es wäre ein wenig komisch, weil ich ja inzwischen seit einem Jahr hier arbeite“, sagt er. Und auch die vier betreuenden Mitbewohner merken: Die Grenze zwischen Privatleben und Assistenz ist manchmal schwer zu ziehen.

„Es ist schon ein Thema, denn man hat eine Doppelrolle und möchte auch mal frei haben. Einerseits ist man angestellt, andererseits aber auch privat. Daran muss man sich gewöhnen“, sagt Helmi.

Wichtig sei es, den Schalter umzulegen, wenn nötig, also Akutes von dem trennen zu können, was noch warten kann, stimmt Niklas ihr zu. Insgesamt mache es aber viel Spaß, in dieser großen Gemeinschaft zu leben.

Weitere Artikel:

Inklusives Wohnprojekt startet im Februar

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Eine Antwort

  1. Gunnar-Eric Randt sagt:

    Alleinstehende Bremer against social fascism

    Schwerbehinderten in Bremen wird die Möglichkeit, Wohneigentum zu erwerben, in der Regel von der Sparkasse Bremen (LBS), anderen Finanzdienstleistern, wie Vertretern vom BHW, der DEVK oder der AFA, sowie von Seiten der Behörden oder fernen Angehörigen einer Bankerfamilie aus Niedersachsen mit Barrieren verbaut.

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