Im Sommer 2021 hat Carsten Sauerwein (59) das Zepter auf Gut Dauelsberg von Einrichtungsleiter Helmut Blauth übernommen. Damit endete auch die über 80 Jahre lange „Blauthsche Ära“. Im Interview blickt Sauerwein, unter anderem ausgebildeter Diakon, auf das erste Jahr zurück, aber auch voraus.
Delme Report: Herr Sauerwein, wie ist das erste Jahr bislang gelaufen? So, wie Sie es sich vorgestellt haben? Und hatten Sie überhaupt Vorstellungen?
Carsten Sauerwein: Ich denke, es ist schwierig, da genaue Vorstellungen zu haben. Im ersten Jahr hatte ich keine großen Ziele oder Erwartungen. Mein Ziel war es, erst einmal anzukommen, zu schauen, was ich vorfinde, wie die Mitarbeiter und Bewohner auf mich reagieren und wo mein Platz hier ist. Dann ging es darum, was sich daraus entwickeln lässt. Das Gut Dauelsberg kenne ich, seitdem ich in Delmenhorst bin. 1987 habe ich hier meine erste Arbeitsstelle begonnen. Damals hatte Helmut Blauth gerade die Leitung von seinem Vater übernommen. Bis 1993 war ich hier tätig. Daher ist mir das Gut Dauelsberg nicht fremd. Zwar liegen jetzt fast 28 Jahre dazwischen, aber da Helmut Blauth und ich Kollegen und befreundet sind, war ich über Veränderungen und Entwicklungen immer gut informiert.
Über 34 Jahre lang hat Helmut Blauth Gut Dauelsberg als Einrichtungsleiter geprägt wie wohl kein anderer, seit 1937 hatte es die Familie Blauth fest im Griff. Wie schwer war es, das Erbe der „Blauthschen Ära“ anzutreten?
Ich bin von einem tollen Team gerade zum Einstieg großartig unterstützt worden. Ohne diese Unterstützung hätte es nicht so gut geklappt. Obwohl ich mir eine längere gemeinsame Übergangs- und Einarbeitungszeit gewünscht hätte. Es kam relativ kurzfristig dazu, dass ich in seine Fußstapfen getreten bin. Im April vergangenen Jahres hatte sich das erst entschieden. Es ist sehr schön, dass wir immer mal wieder die kurzen Wege miteinander nutzen. Herr Blauth kommt gerne als Besucher vorbei und ist zeitweise hier tätig. Somit kann er mich immer noch mit Informationen versorgen, mir zeigen, wo ich was finde. Das ist sehr hilfreich. Wenn jemand 34 Jahre lang hier gewirkt hat wie er, dann sind viele Sachen nicht verschriftlicht, da sich tagtägliche Vorgänge wiederholen und man weiß, wo man was hinterlegt hat oder wie man etwas macht. Dann kommt jemand Neues, der verzweifelt in Aktenordnern nach Prozessen sucht. Das macht das Ganze natürlich schwierig. Aber da die „Blauthsche Ära“ über so viele Jahre hinweg gewirkt hat, ist es verständlich, dass sich Vieles verselbständigt hat und man nicht alles aufschreibt. Schwierigkeiten sehe ich aber immer auch als Herausforderung an, die es zu bewältigen gilt. Dann ist da das Gut selbst, das für mich wie ein riesiger Gemischtwarenladen ist. Man findet alles vor: Landwirtschaft mit Tierhaltung und Tagesstruktur, Arbeitsplätze in der Wäscherei oder in der Großküche, drei verschiedene Hilfeformen mit vollstationärer Pflege, Eingliederungs- und Wohnungslosenhilfe, Forstbetrieb, Industriefertigung… Ich kam aus meiner vorherigen Anstellung aus der Eingliederungshilfe und der stationären Pflege. Das ist hier auf Gut Dauelsberg schon eine Menge mehr.
Würden Sie sagen, dass nach der „Blauthschen Ära“ mittlerweile eine neue Ära begonnen hat?
Man kann 34 Jahre nicht einfach abstreifen und einen Schalter umlegen, um etwas Neues zu beginnen. Das wird nie funktionieren bei solch einer Einrichtung, die so geprägt ist. Das wäre auch nicht gut, da man nicht alle Menschen mitnehmen würde – weder Bewohner noch Mitarbeiter. Es gibt aber schon Veränderungen, die man vornehmen muss, denn viele sozialpolitische, gesellschaftliche Aufgaben müssen angegangen werden. Aber das hätte Herr Blauth auch gemacht, wenn er noch zehn Jahre weitergemacht hätte.
Sie haben schon die Bewohner angesprochen. Haben sie sich schnell an ihren neuen Chef gewöhnt?
Die Bewohner sind sehr herzlich auf mich zugekommen. Sie sind das größte Gut, das wir hier haben, und das hat mir den Einstieg auch leicht gemacht. Ich kenne einige noch von früher. Sie freuten sich, als ich wieder da war, weil es für sie auch etwas Vertrautes war. Andere habe ich kennengelernt, als ich öfters als Kollege zu Besuch war oder auf Veranstaltungen. Alle haben mir den Start sehr erleichtert.
Bevor Sie auf das Gut Dauelsberg wechselten, haben Sie seit 1994 das Wohnheim Fichtenstraße geleitet. Welche Erfahrungen konnten Sie schon auf Gut Dauelsberg einbringen?
Wenn man so lange eine Einrichtung geleitet hat, bringt das eine gewisse Gelassenheit mit sich. Dadurch gerät man bei Problemen nicht so leicht außer Ruhe. Außerdem bringe ich Erfahrung in der Personalführung und auch zur wirtschaftlichen Leitung einer Einrichtung mit. Jeder Einrichtungsleiter hat seinen eigenen Führungsstil. Es war mir wichtig, keine Kopie von Herrn Blauth zu sein, sondern authentisch zu bleiben und meinen Stil mit einzubringen.
Welche Projekte konnten Sie bereits anstoßen oder verwirklichen, und was ist derzeit noch geplant?
Es gibt Dinge, die allmählich Konturen annehmen, aber das möchte ich mir nicht allein auf die Fahne schreiben. Die Mitarbeiter tragen das mit. Eine große Veränderung, die uns noch einige Zeit beschäftigen wird, ist die Umstellung der Landwirtschaft auf einen Biobetrieb. Herr Blauth hilft dabei als ausgebildeter Agraringenieur und Landwirt mit Leib und Seele stundenweise mit. Ein weiterer Punkt ist die Pflege. Wir hatten bis dato nur 25 Plätze in unserem Pflegeheim, nach dem Anbau sind es 35. Seitdem ich hier bin, mussten wir uns um die Belegung kümmern. Dafür gibt es aber genügend Nachfragen. Ein riesiges Problem ist es hingegen, Fachpersonal zu bekommen. Es war mir in diesem Zusammenhang wichtig, Ausbildungsplätze im Bereich der Pflege anzubieten, und das haben wir auch geschafft. Damit hoffen wir auch, qualifizierte Mitarbeiter in der Pflege zu behalten.
Sie sagten, dass Sie keine Kopie von Helmut Blauth sein möchten. Gibt es denn etwas, das Sie komplett anders angehen als Ihr Vorgänger?
Das festzulegen, halte ich für schwierig. Wenn man hier aufgewachsen ist, trifft man Entscheidungen aus unterschiedlichen Gründen. Man fühlt sich ganzheitlich verbunden, weil es das Elternhaus ist und familiär gewachsen ist. Ich trenne Arbeit und Privatleben, da ich auch nicht auf dem Gelände wohne. Das macht schon einen großen Unterschied. Aber die Frage würde sich wohl besser in zwei Jahren beantworten lassen.
Über Gut Dauelsberg
Das Gut Dauelsberg ist eine Komplexeinrichtung der Wohnungslosenhilfe, der stationären Eingliederungshilfe für Menschen mit seelischen Behinderungen und der vollstationären Pflege. Die Einrichtung bietet eigene Werkstätten, eine größere Landwirtschaft und Arbeits- und Qualifizierungsangebote für langzeitarbeitslose Menschen.