Dirk Fasse begann seine Ausbildung bei der Polizei Bremen 1980, seit 2021 ist er Polizeipräsident. Foto: Marco Meister Dirk Fasse begann seine Ausbildung bei der Polizei Bremen 1980, seit 2021 ist er Polizeipräsident. Foto: Marco Meister
Interview

Dirk Fasse: „Enormes Potenzial für Kriminelle“

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Polizeipräsident Dirk Fasse über die Nutzung und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz.

Weser Report: Herr Fasse, das Thema Künstliche Intelligenz (Anm.: KI) betrifft inzwischen viele Branchen und Bereiche. Nutzt die Bremer Polizei Künstliche Intelligenz?

Dirk Fasse: Vielleicht nicht so, wie man sich das vorstellt. Wir nutzen Anwendungen mit Elementen von Künstlicher Intelligenz. Ein Beispiel ist das Erkennen von kinderpornografischen Bildern. Da haben wir Unterstützung durch eine Software, die noch nicht ganz als das beschrieben wird, was man als so genannten Bot im Sinne von ChatGPT kennt. Es ist eine lernende Software. Je mehr Bilder man ihr gibt, desto bessere Ergebnisse bekommt man. Es ist aber noch nicht das Niveau wie etwa ChatGPT. Da sind wir noch ganz in den Anfängen. Wir gehen offen mit dem um, was wir nutzen und machen. Das finde ich auch richtig. Rechtsstaatlich wäre es nicht in Ordnung, Anwendungen heimlich zu nutzen.

Nutzen Kriminelle inzwischen vermehrt Künstliche Intelligenz?

Ja. Es gibt für uns immer zwei Seiten der Medaille. Auf der einen die Kriminellen, auf der anderen die Anwendungen der Polizei. Es gibt zu ChatGPT ein Pendant als DarkGPT im Darknet mit der Funktion, kriminelle Aktivitäten zu unterstützen. So etwas bezieht sich auch auf Bilder von Kindern. Die Antworten liefert KI auch auf unserer Seite. Dinge, die die Polizeien jetzt versuchen zu entwickeln, um dagegen zu halten, um Waffengleichheit zu schaffen.

Ist es denkbar, mithilfe von KI in diesem Bereich Vorhersagen zu treffen und Kriminellen zuvor zu kommen?

Das ist sehr komplex. Meine erste Botschaft ist: Kaiser Wilhelm hat gesagt, er setze auf das Pferd. Das Auto werde sich nicht durchsetzen. Wenn man das auf Künstliche Intelligenz überträgt, ist klar, dass sie unser Leben und unser Arbeiten verändern wird. Alle Auswertungen der Polizeien deutschlandweit deuten genau auf dieses Szenario hin. Es gibt Prognosen, dass im Jahr 2026 90 Prozent des Netzes aus KI-generierten Informationen bestehen wird. Meine Vorstellungsgrenze ist da erreicht. Die Botschaft von Experten ist, dass es wahnsinnig schwer ist vorauszusagen, was passieren wird, weil wir noch nicht einmal wissen, wie sich KI in einem Jahr entwickelt haben wird. Da steckt eine enorme Dynamik drin. Wir müssen uns damit auseinander setzen. Das ist alternativlos.

Ein Beispiel im Bereich der Kriminalität sind Phishing-Mails mit betrügerischen Absichten. Die Prognose heute ist ein tausendprozentiges Wachstum von diesen Mails. Auch die Qualität wird sich völlig verändern, sie werden gestochen scharf formuliert sein und gespickt mit Informationen, die Vertrauen erwecken. Wir brauchen Strategien, wie man damit umgeht. Das birgt ein enormes Potenzial für Kriminelle.

In Großbritannien und den USA wird KI von der Polizei eingesetzt, um in Menschenmengen Muster zu erkennen. Sehen Sie KI auch als Chance für Ihre Arbeit?

KI schafft Kriminalität in unbekanntem Ausmaß. Wer gewinnt, wenn wir selbst auch eine KI haben? Ist es dann wirklich eine Arbeitserleichterung oder muss ich dasselbe Werkzeug nehmen, um mit dem gesteigerten Aufkommen umgehen zu können? KI hat aber natürlich grundsätzlich das Potential, die Effektivität und Effizienz der Polizeiarbeit erheblich zu steigern, beispielsweise bei der Sprach- und Bilderkennung… aber es bleibt beim Blick in die Glaskugel.

Könnten zum Beispiel Abläufe vereinfacht und Personal entlastet werden?

Natürlich gibt es auch da Möglichkeiten für uns. Wir stehen davor, unsere Kriminalakten zu digitalisieren. Das ist ein großes Projekt in den Polizeien, Staatsanwaltschaften und Gerichten deutschlandweit. Die Zielstellung läuft in das Jahr 2026. Ganze Räume von Aktenschränken werden digitalisiert und da hilft natürlich Künstliche Intelligenz. Das ist dann ein Datensatz, über den sich jeder, der sich mit KI befasst, freuen würde. Auch wir freuen uns, denn es bietet sich die Möglichkeit der Verknüpfung. Ohne Softwarelösungen und KI würden wir bestimmte Beziehungen eventuell nicht aufdecken können. Ein anderes Thema ist, dass wir heute Terrabytes an Daten in Wirtschafts- und Bankenverfahren sicherstellen. Welcher Mensch ist in der Lage, das alles zu lesen und auszuwerten?

Ein weiteres Thema ist wieder die Kinderpornografie. Es gibt abermillionen Bilder im Netz. Das betrifft auch die Bilderkennung in kleinsten Nuancen, das Erkennen von Beziehungen und das Sortieren der Bilder. Bei den Prozessen dahinter hilft so eine Software. Wir erstellen Täterprofile und auch da bieten die allermeisten Menschen alles offen im Netz an. Das ist nicht zu unterschätzen. Auswertungen zu Straftätern kommen gefühlt zu 95 Prozent aus dem Netz, weil sie ihr Leben öffentlich präsentieren.

Muss im Bereich Digitalisierung bei der Polizei Bremen Personal aufgestockt werden?

Wir und auch alle anderen Polizeien werden von digitalen Daten erschlagen. Teilweise produzieren wir die Massen aber auch selbst, zum Beispiel mit den Bodycams. Die Filme werden gespeichert, unter Umständen für ein Strafverfahren wieder herangezogen, oder auch zur Ermittlung von Fehlverhalten. Auch die Überwachung der öffentlichen Videoanlagen fällt da mit rein. Wir sprechen hier über gigantische Datenmengen. Heute hat jeder Mensch eine Handykamera in der Hand. Dem sind keine Grenzen mehr gesetzt.

Werden die Mitarbeiter für den Umgang mit den Daten geschult?

Da wo wir Anwendungsbeispiele haben, schulen wir die Mitarbeitenden auf die Systeme. Wir stellen aber auch IT-ler und Analysten ein. In diesem Bereich professionalisieren wir uns. Es wäre ohne die Unterstützung durch Spezialisten nicht zu schaffen. Es dürfte da gerne noch mehr sein. Die Unterstützung hält uns über Wasser, wenn es um große Datensätze geht, wie in den Enchrochat-Verfahren. Da haben wir in Bremen Pionierarbeit geleistet und das Bundeskriminalamt hat unsere Methode übernommen. Der Nutzen von KI im Polizeiwesen ist jetzt im Entstehen. Da sind wir aber als kleinste Polizei Deutschlands nicht federführend, sondern schauen eher auf das BKA und Nordrhein-Westfalen oder Bayern, die das Thema mit wissenschaftlicher Expertise angehen.

Wenn KI neue Methoden für die Ermittlungsarbeit bietet, wie steht es dann um die Gerichtsverwertbarkeit?

Aus meiner Sicht ist das in der Breite noch nicht geklärt. Die Verfassungsrechtler sind sich überwiegend einig, dass die Anwendung von Künstlicher Intelligenz rechtliche Vorgaben braucht. Die Polizei braucht immer Eingriffsrechte. Ermächtigungen müssten in Gesetze geschrieben werden: Wann und in welchem Rahmen kann und darf Polizei KI nutzen. Natürlich spielt auch der Datenschutz eine Rolle. Die Anforderungen sind da nochmal größer. Es stellt sich dann zum Beispiel die Frage, wie eine KI zu einem bestimmten Ermittlungsergebnis gekommen ist und das muss ich dann einem Richter erklären können. Da gibt es besondere Anforderungen und es muss ein politischer Prozess losgetreten werden, um am Ball zu bleiben.

Sie haben eine Rede zur Entlassung von Polizeianwärtern in den aktiven Dienst von ChatGPT verfassen lassen und niemandem ist es aufgefallen, bis Sie es am Ende aufgeklärt haben. Interessiert Sie das Thema KI auch privat?

Ich fürchte mich nicht davor. Dass ich die Rede über ChatGPT schreiben lassen habe ist auch ein Ausdruck meiner Persönlichkeit. Ich möchte meinen Zuhörern gerne etwas bieten. ChatGPT hat mich interessiert. Ich war total überrascht von den Ergebnissen und habe versucht, damit zu spielen und die Grenzen zu testen. Die erste Rede, die generiert wurde, war tadellos. Wer mich kennt, weiß, dass ich so nicht schreibe, aber die Rede war völlig in Ordnung, ich habe ja auch großen Applaus bekommen. Ich wollte aber auch die jungen Kolleginnen und Kollegen sensibilisieren und auf das Thema aufmerksam machen. Der Scherz ist oft das Loch, aus dem die Wahrheit pfeift, das ist mein Lieblingsspruch.

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