Das neue Wandbild an der Stader Straße in der östlichen Vorstadt - da, wo bis vor kurzem noch Tags und illegales Graffiti zu sehen waren. Die Wandbilder erfreuen sich in Bremen großer Beliebtheit. Besonders im Viertel sind schon viele Fassaden angemalt. Legal-Graffiti, Sprayer, Kunst öffentlicher Raum Neues Auftragsbild in der östlichen Vorstadt. Die Wandbilder sollen als Schutz gegen Tags und illegales Graffiti dienen - ob es funktioniert? Foto: Schlie
Öffentlicher Raum

Große Wandbilder: Graffiti, Kunst oder nur Werbung?

Von
Überall entstehen in Bremen Wandbilder als Schutz vor Graffiti. Ob Passanten, Geschäftsleute, Tourismusbranche oder Künstler, die Bilder im öffentlichen Raum scheinen alle Seiten glücklich zu machen - oder doch nicht?

Fünf Gänse fliegen vorbei, in Richtung Osten. Gelb, orange, rot, blau und grün ziehen sie über die Hausfassade an der Ecke Am Hulsberg / Stader Straße in Hastedt, da, wo bis vor kurzem noch Graffiti-Tags und Throw-Ups die Wand bedeckten. Die Hausverwaltung hat das neue Wandbild in Auftrag gegeben.

„Die Gänse sind einfach der Hit“, meint Adem Sahantürk. „Wenn man von der Stader Straße kommt und die Sonne richtig steht, leuchten die alles weg.“ Der Geschäftsführer von atx Artworx übernimmt seit 1990 Auftragsarbeiten, aber die Begeisterung für die großflächigen Wandbilder hat ihn noch nicht verlassen.

Die Wandbilder erleben in Bremen einen Boom

Seine Firma hat etwa das bunte Chamäleon am Ostertorsteinweg im Viertel gemalt. „Ich glaube, nirgendwo in Europa gibt es so viele Auftragsarbeiten an den Wänden wie in Bremen“, sagt Sahantürk. „Wir sind bei atx zu sechst – und trotzdem für das nächste Dreivierteljahr ausgebucht.“

Viele Auftraggeber, so der Geschäftsführer, wollen mit dem Legal-Graffiti auf ihr Geschäft aufmerksam machen. Andere erfüllen sich einen privaten Wunsch. Und ziemlich häufig sei der Grund für die Wandbemalung auch  Schutz vor Schmierereien.

Kritzeleien auf Auftragsbildern eher von Fußballfans

„Wir überdecken schlechtes Graffiti mit gutem Graffiti“, so Sahantürk. Die meisten Sprayer, so erklärt er, akzeptierten das neue Bild und übermalen es nicht. „Wir arbeiten seit 26 Jahren in der Szene und sind so etwas wie die Champions League der Graffiti-Künstler in Bremen – da hat dann die Kreisklasse schon Respekt vor“, sagt Sahantürk selbstbewusst.

Sollte doch einmal auf die Bilder gekritzelt werden, käme das zumeist nicht von klassischen Sprayern, sondern eher von Fußballfans, die unbedingt einmal „Werder“ an die Wand malen möchten.

„Plakatierung in Bahnen lenken“

Seit Kurzem bemalt ist auch der Rewe am Ziegenmarkt – die Wand zeigt eine Marktszenerie. Neben dem Werbeeffekt erhofft sich Marktleiter Holger Reiners, dass weniger Plakate angeklebt werden.

„Im Viertel wird immer plakatiert – das können wir nicht vermeiden“, so Reiners. „Aber wir wollen es in Bahnen lenken: Während auf einer Seite jetzt das große Wandbild ist, haben wir auf der Rückseite leere Plakatwände angebracht. Da darf dann alles hin.“

Legal-Graffiti als eierlegende Wollmilchsau?

Auch die Tourismusbranche hat die großflächigen Wandbilder schon für sich entdeckt: Diesen Monat bietet die Bremer Touristik Zentrale bei einem sogenannten „Instawalk“ eine Führung zu Bremer Streetart an.

Die Auftragsbilder scheinen so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau zu sein: Eine Kunstform, die vor Vandalismus schützt und dabei Künstler, Passanten, Gewerbetreibende und sogar die Graffitiszene selbst glücklich macht. „Irgendwann“, so glaubt Rewe-Leiter Reiners, „wird das ganze Viertel mit Auftragsgraffiti zugemalt sein.“

Genesius: „Eine graue Wand ist spannender“

Alle glücklich also? Markus Genesius ist einer, der mit Graffiti Geld verdient. Er kommt selbst aus der Szene, stellt mittlerweile in Galerien aus und wird weltweit für Aufträge gebucht. „Aber wenn ich mir vorstelle, dass an jedem Haus ein Auftragsbild ist, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das gut finde“, so der Künstler, der auch unter seinem Graffiti-Namen Wow123 bekannt ist.

Wenn er selbst einen Auftrag übernimmt, versucht er den Kunden davon zu überzeugen, ihm als Künstler freie Hand zu lassen. Bei vielen Arbeiten sei Graffiti dagegen weniger als Kunst akzeptiert, sondern nur noch als Werbung.

„Vielleicht muss da im Viertel nicht die hundertste Tasse an eine Caféwand gemalt werden“, sagt er. Und nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Es klingt etwas ketzerisch, aber eine Wand mit Tags oder sogar einfach eine graue Wand finde ich da manchmal spannender.“

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren...

Schreibe einen Kommentar

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner