Hat der Unfallfahrer abgebremst als er den Schüler sah, oder nicht? Das war die Hauptfrage die am Freitag vor Gericht behandelt worden ist. Am 10. Juni war in der Vahr an der Kreuzung Julius-Brecht-Allee/Konrad-Adenauer-Allee ein Junge angefahren und so schwer verletzt worden, dass er wochenlang im Koma lag.
Vor Gericht soll jetzt geklärt werden, ob der Unfallfahrer bewusst das Risiko in Kauf genommen hat, jemanden zu verletzten. Das vermutet die Staatsanwaltschaft und wirft dem 27-jährigen Angeklagten Totschlag vor. Am zweiten Prozesstag hat der vorsitzende Richter Manfred Kelle dazu fünf Zeugen vernommen, die den Unfall live mitbekommen haben.
Zeugen beschreiben Unfall drastisch
Gegen 12.30 Uhr hat der erste Zeuge am Unfalltag an der roten Ampel an der Julius-Brecht-Allee gehalten. „Die Ampel war rot, an der Fußgängerampel stand ein ganzer Pulk von Schülern, die Linksabbiegespur war frei“, erzählt er. Der Zeuge hatte das Fenster seines Firmentransporters geöffnet. „Auf einmal hörte ich einen Motor aufheulen, dann sah ich wie ein silbernes Auto links von mir angerast kam, der hat richtig Gas gegeben und dann knallte es auch schon“, so der Zeuge.
Direkt vor seiner Windschutzscheibe sei der Junge auf dem Fahrrad vom Auto erfasst worden. „Der hat garantiert nicht gebremst, der Junge wurde richtig hoch durch die Luft geschleudert“, erinnerte er sich. Er sei dann sofort ausgestiegen und habe sich um das verletzte Kind gekümmert. „Das Blut lief ihm schon unter dem Kopf hervor, dann kam eine Frau die wohl Ärztin war und hat ihm geholfen, ich habe ihn dann von den anderen Schülern abgeschirmt.“
Der Unfallfahrer habe erst auf der anderen Seite der Kreuzung an einer Verkehrsinsel angehalten, erkannt habe er ihn nicht. „Ich habe nur gesehen, wie er gekommen ist, geschaut hat, etwas planlos, vielleicht sogar geschockt hin und her gelaufen ist und dann war er weg“, sagt der Zeuge. Genauer beschreiben konnte er – wie auch drei weitere Zeugen – den Mann nicht. Auch auf Fotos, die der Richter ihm vorlegte, konnte der Zeuge den Unfallfahrer nicht identifizieren.
Unfallfahrer soll viel zu schnell gewesen sein
Auch die zweite Zeugin beschrieb den Unfallhergang so. Sie konnte sich noch sehr genau an den Unfallmoment erinnern. „Der Junge muss schon beim Aufprall bewusstlos geworden sein, der schleuderte durch die Luft wie eine Puppe und ist dann ziemlich verrenkt mit dem Kopf zuerst auf die Straße aufgeschlagen“, sagte sie aus. Als sie bei ihm ankam, sei das Kind nicht mehr ansprechbar gewesen. „Ich hab ihm ein bisschen über den Kopf gestreichelt, dann kam die Ärztin“, so die Frau. Auch sie erinnert sich daran, dass der Unfallfahrer viel zu schnell gewesen sein muss. „Gebremst hat er definitiv nicht.“
Vier Stunden lang befragten Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Zeugen, die alle in ihren Autos an der roten Ampel gewartet hatten. Ihre Aussagen deckten sich in den wichtigsten Punkten. Der Unfallfahrer habe auf der Linksabbiegerspur alle anderen Autos mit etwa 70 km/h überholt und sei dann geradeaus weiter gefahren, als er den Jungen erfasste. Alle Zeugen sagten aus, dass er danach kurz ausgestiegen sei, aber dann verschwand.
Zeugen können sich an Mann nicht erinnern
Ob der Angeklagte auch der Unfallfahrer war, konnte keiner genau sagen. An die Personenbeschreibungen, die die Zeugen der Polizei gegenüber abgegeben hatten – und die auf den Angeklagten zutreffen könnten, konnte sich nur der erste Zeuge eindeutig erinnern und wiederholte sie vor Gericht.
Die Stimmung im Saal war angespannt, bevor es zur Zeugenvernehmung kam. Nach dem ersten Verhandlungstag waren die Mutter des Jungen, die als Nebenklägerin auftritt, und der Angeklagte sowie dessen Freunde aus den Zuschauerreihen heftig aneinander geraten. Deswegen waren am Freitag vier statt zwei Wachmänner im Saal. Richter Kelle appellierte an die Zuhörer, Ruhe zu bewahren und ein geordnetes Verfahren zu gewährleisten. Die Parteien mussten den Saal getrennt voneinander betreten und verlassen.
Auch am Freitag war der Mutter des Unfallopfers die Anspannung anzumerken, sie kämpfte mit den Tränen und weinte während der drastischen Unfallbeschreibungen. Der Angeklagte hingegen wirkte auch wie schon beim Prozessauftakt regungslos, verzog keine Miene. Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.
Dem Jungen geht es laut dem Anwalt der Mutter inzwischen „den Umständen entsprechend gut“. Er habe zwar noch kognitive Schwierigkeiten und kleinere motorische Einschränkungen, von einer schweren Behinderung könne aber keine Rede sein. „Die seelischen Verletzungen machen ihm noch zu schaffen“, so der Anwalt.