Der Herausgeber und Mitautor des Buches „Distelblüten“ gastiert am Donnerstag im Haus Berger.Foto: Konczak Der Herausgeber und Mitautor des Buches „Distelblüten“ gastiert am Donnerstag im Haus Berger. Foto: Konczak
Besatzungskinder

Die Geschichten von Kriegskindern

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Ihre Mütter wurden im Krieg vergewaltigt oder verliebten sich in den Feind. Winfried Behlau will das Thema „Besatzungskinder“ mit einem Buch „Distelblüten – Russenkinder in Deutschland“ aus der Tabuzone holen.

Es gibt Themen in der Wissenschaft, die oft erst mit großer Verzögerung aufgegriffen werden, obwohl sie hochaktuell waren und sind. Dazu gehört das Phänomen der Besatzungskinder. In allen Kriegen vergewaltigen Soldaten Frauen und zeugen mit ihnen Kinder. Die Folgen waren und sind Selbstmorde und Abtreibungen. Aber auch freiwillige Liebesbeziehungen zwischen Freund und Feind gibt es von der Antike bis heute.

Winfried Behlau war eines dieser Kinder. Der Ehemann seiner Mutter verstarb 1942 in Russland und ließ sie mit zwei Töchtern zurück. 1945 wurde seine Mutter von einem russischen Soldaten vergewaltigt und brachte ihn zur Welt. Erst mit 13 Jahren erfuhr er von seinem Schicksal.  „Auch danach wurde innerhalb der Familie nie darüber geredet. Heute kann ich meine Mutter leider nicht mehr dazu befragen, da sie stark dement ist“, bedauert Behlau.

Die Geschichten der „Besatzungskinder“

Reiseerlebnisse und zwei Pilgerreisen im Alter von 68 und 70 Jahren führten dazu, dass der pensionierte Mathematiklehrer sein Schweigen brach und sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzte. „Folgen hatte auch ein Leserbrief, der zu einem Kontakt mit den Universitäten in Köln und Leipzig führte“, erinnert sich der Delmenhorster. Im Rahmen einer Studie der Uni Leipzig bildete sich die Gruppe „Russenkinder“. Behlau fing an, die Lebensgeschichten anderer Betroffener zu sammeln und gab sie als Buch heraus.

„Der Titel ‚Distelblüten‘ geht auf eine Illustration eines Künstlers aus den Niederlanden zurück, der die Tatarendistel von Tolstoi aufgriff. Sie ist unverwüstlich. Auf dem Buchcover wächst die Distel aus einem Stahlhelm und wird zu einer Rosenblüte. Damit wollen wir Russenkinder deutlich machen, dass wir es zwar nicht immer leicht im Leben hatten, aber nie den Lebensmut verloren haben“, betont der Autor und Herausgeber.

Distel mit Rosenblüte als Symbol für Lebensmut

15 Autorinnen und Autoren haben an der dritten Auflage des ständig wachsenden Buchprojektes mitgeschrieben, doch Behlau ist der Einzige unter ihnen, der bei einer Vergewaltigung gezeugt wurde. „So eine Lebensgeschichte macht es für viele Betoffene noch immer schwer, darüber zu reden“, weiß er aus vertraulichen Gesprächen.

Doch auch jene Personen, deren Eltern sich in Liebe zugetan waren, hatten es nicht immer leicht. „Wenn es herauskam, wurden die Soldaten  interniert, in die Heimat geschickt oder teilweise erschossen. Die Begründung lautete ‚Einlassung mit dem Feind‘. Auch einige Mütter kamen in Lager. Die Kinder wurden teilweise vom Umfeld gemobbt“, berichtet der Herausgeber.

Geschichten die berühren

Ihm ist bis heute eine Szene aus seiner Jugendzeit im Gedächtnis geblieben: „Nachdem meine Mutter mir die Hintergründe meiner Zeugung gebeichtet hatte, fügte sie hinzu, immer erleichtert gewesen zu sein, dass ich nicht die Schlitzaugen meines Vaters geerbrt habe.“ Behlau wollte nie mehr über seinen Vater, von dem er nicht einmal den Vornamen kennt, wissen.

Anders verhält es sich mit einigen der Liebeskinder. Sie versuchten teilweise später Kontakt zu ihren Vätern aufzunehmen. „Das ist bis heute schwer, da häufig nur ein Vorname, ein Foto oder die ungefähren Daten der Väter vorhanden sind und man nur schwer bis gar nicht Auskünfte aus den Archiven in Russland bekommt“, betont Behlau und ergänzt: „Auch in Polen und der ehemaligen Sowjektunion gibt es genügend Nachkommen von Wehrmachtsoldaten. Dort herrscht bis heute ein großes Schweigen zu dem Thema“, betont Behlau.

Auf Einladung des Kulturkreises Delmenhorst e. V. liest Winfried Behlau am Donnerstag, 6. April, ab 19 Uhr im Haus Berger an der Stedinger Landstraße 5. Vor Ort kann das Buch auch gekauft werden.

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