Seit gut 14 Monaten ist Kristian Willem Tangermann (CDU) Bürgermeister der Gemeinde Lilienthal. Foto: Möller Seit gut 14 Monaten ist Kristian Willem Tangermann (CDU) Bürgermeister der Gemeinde Lilienthal. Foto: Möller
Interview

Die Gemeinde Lilienthal braucht einen Faktencheck

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Lilienthal erreicht bald die 20.000-Einwohner-Marke, und man stellt fest, dass Neubürger auch Geld kosten. In Rat und Verwaltung wird überlegt, wie gegenzusteuern ist. Wir sprachen mit Bürgermeister Kristian Tangermann.

Frage: Herr Tangermann, Sie haben mit Ihrem Rat gerade für eine besondere Bescherung der Bürgerinnen und Bürger gesorgt. Fühlen Sie sich mit der Steuererhöhung wohl?

Kristian W. Tangermann: Nein, in der Tat nicht. Nicht nur, weil man Wahlversprechen an sich nicht bricht, sondern gerade deswegen, weil ich im Sommer vor einem Jahr noch fest davon ausgegangen war, dieses Versprechen geben zu können. Bei der damaligen Einnahmesituation und der guten Konjunkturlage war ich sicher, dass es alleine darauf ankommen würde, die Aufwandsseite der Gemeinde im Griff zu behalten. Heute muss ich zugeben, dass das eine Fehleinschätzung war. Wir sind in eine Situation gekommen, insbesondere durch eine Steigerung bei den Kinderbetreuungskosten, die ich so nicht vorhergesehen habe.

Bauboom ist nun „Fluch der guten Tat“?

Ist das sozusagen der Fluch der guten Tat? Lilienthal hat sich so gut entwickelt, dass immer mehr Menschen hierherziehen wollen, gerade auch junge Familien mit Kindern?

„Fluch“ möchte ich das nicht nennen, es ist erfreulich, wenn junge Familien nach Lilienthal ziehen und Menschen, die hier wohnen, Kinder bekommen. Frühere Diskussionen über den demographischen Wandel wiesen in eine ganz andere Richtung. Mir ist es wichtig, dass wir bei künftigen Entscheidungen, über die Schaffung von Krippenplätzen oder wie sich unsere Grundschulen entwickeln, faktenbasiert vorgehen. Aus diesem Grund haben wir schon Anfang des Jahres eine Prioritätenliste erstellt, wo wir künftig noch Baugebiete ausweisen wollen und haben dann von Gutachtern eine Bevölkerungsprognose erstellen lassen. Dabei haben wir wichtige Erkenntnisse gewonnen. So war zwischenzeitlich vorgesehen, die Schroeterschule dreizügig neu zu bauen. Durch die neuen Erkenntnisse bin ich mir nicht mehr sicher, ob das reicht. Wahrscheinlich brauchen wir mittelfristig zwei neue Züge, und wenn das so kommt, wäre es vernünftiger, nicht die Schroeterschule größer zu bauen, sondern dann eine fünfte Lilienthaler Grundschule zu bauen. Das sind neue Herausforderungen.

Vor den Wahlen galt es noch, Schulen zu schließen

Vor den Kommunalwahlen wurden in Lilienthal noch Grundschulen in Frankenburg und Seebergen geschlosssen, dagegen wurde kräftig demonstriert?

Ja, ich war damals ja auch nicht damit einverstanden. Wir haben jetzt in den Räumen der ehemaligen Schulen in Frankenburg und Seebergen Krippen- und Kitaplätze eingerichtet. Das war auch Teil der Kostensteigerungen. Wir müssen jetzt feststellen, dass wir in Lilienthal keine sinkenden, sondern steigende Schülerzahlen haben. Genauso im Vorschulbereich. Wir registrieren eine höhere Quote der Inanspruchnahme von Krippenplätzen und erleben eine stärkere Nachfrage nach Kita-Plätzen, die insbesondere aus Zuzügen reslutiert. Wir waren bisher davon ausgegangen, dass die Schroeterschule unser großes Neubauprojekt dieser Wahlperiode sein würde, das schlüge mit rund 7,5 Millionen Euro zu Buche. Mittlerweile können wir vom Bedarf für eine fünfte Grundschule im Ortskern mit Turnhalle ausgehen, müssen an der Grundschule Falkenberg bauliche Maßnahmen für eine Mensa planen und benötigen außerdem räumliche Veränderungen an der Christoph-Tornee-Schule für die Kinderbetreuung. Wenn man das alles zusammenzählt, dann kommen wir statt einer benötigten Summe von 7,5 Millionen Euro auf eher
20 Millionen Euro. Das ist tatsächlich eine gravierende Veränderung.

Braucht Lilienthal einen Baustopp? Darf die Gemeinde nicht weiter wachsen?

Wir müssen auf jeden Fall gucken, in welchem Tempo Lilienthal weiter wachsen darf. Das, was wir im Moment an Bevölkerungsentwicklung haben, beruht alles auf alten Bebauungsplänen der letzten Jahre, die jetzt in die Umsetzung kommen. Selbst, wenn wir jetzt eine Vollbremsung machen würden, wovon ich nichts halte, dann würden wir die Auswirkungen erst in einigen Jahren spüren. Wir müssen also aufpassen: Zum einen dürfen wir die vorhandene Infrastruktur nicht überbelasten, auf der anderen Seite wollen wir aber auch keine Leerstände bekommen. Das bedeutet, dass wir, Rat und Verwaltung, eine Gemeindeentwicklung mit Augenmaß betreiben müssen.

Neue Abgabe soll Bauwillige abschrecken?

Und nun machen Sie mit einer Infrastrukturabgabe das Siedeln nach Lilienthal weniger attraktiv?

Nein, wir haben, um zum Anfangsthema zurückzukommen, durch die Steuererhöhungen nur auf die erhöhten Kosten reagiert, unter anderem um Kindergärten, Krippen und Schulen zu betreiben. Denn das müssen wir aus den laufenden Einnahmen bezahlen. Die Prüfung der Einführung einer Folgekostenabgabe habe ich vorgeschlagen, weil wir auch für die Investitionen nach einer Gegenfinanzierung gucken müssen. Wenn wir eine so hoch verschuldete Gemeinde sind, wie wir es sind, dann dürfen wir unsere Verschuldung nicht einfach weiter steigern. Als ein überlegenswertes Instrument kommt da die Folgekostenabgabe in Betracht. Dafür müssen wir aber sehr genau nachweisen, dass zwischen dem Neubaugebiet und der zu schaffenden Infrastruktur einen Zusammenhang gibt. Das darf dann nicht bloß ein Gefühl sein, das muss faktenorientiert erfolgen. In den Erschließungsverträgen mit Bauunternehmen wäre dies mit aufzunehmen.

Kann sich das wachsende Lilienthal bald „Stadt“ nennen?

Wir haben in unserer Gemeinde erst einmal grundsätzlich den Vorteil der Nähe zu Bremen. Mit all dem, was Lebensqualität einer Großstadt auch mit sich bringt. Stadt sein ist kein Selbstzweck. Wir müssen unser Augenmerk darauf richten, unsere Aufgaben, die wir als Gemeinde haben, gut wahrzunehmen, die Menschen sollen hier gerne leben.

Und das tun Lilienthaler nicht nur gerne im Ortskern, sondern auch in seinen Dörfern, wie steigern Sie die Attraktivität in den eher ländlichen Bereichen?

Wenn ich Lilienthal sage, meine ich auch immer die ganze Gemeinde. Wir sind mit Heidberg, Sankt Jürgen, Seebergen und Worphausen ins Dorfentwicklungsprogramm aufgenommen worden. Anfang des Jahres werden wir darüber eine erste Bürgerversammlung haben. Da wird es dann darum gehen, Projekte zu finden, um die Lebensqualität auch in den Ortsteilen positiv weiterzugestalten.

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