Die Reihenfolge steht noch nicht fest, aber Khalil Burgai und seine Frau haben als Rentner noch eine Menge vor. Foto: pv In Afghanistan aufgewachsen, auf der Krim ausgebildet und in Bremen ein bisschen Medizingeschichte geschrieben: Khalil Burgai absolvierte seine Facharztausbildung im St. Joseph-Stift und machte sich 1993 selbstständig. Foto: pv
Aus Leidenschaft

Sehnsucht nach Afghanistan

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Bremens dienstältester Anästhesist geht nach 42 Jahren in Ruhestand.

Jetzt ist Khalil Burgai also Rentner, aber so richtig im Ruhestand ist Bremens bislang dienstältester Anästhesist nicht. In den ersten Tagen seines Rentnerlebens begleitete er seinen Nachfolger und gab noch eine Abschiedsparty. „Ich hatte immer ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Operateuren, vielen Kollegen und Mitarbeitern“, sagt der 71-Jährige.
Fast 43 Jahre lang praktizierte er. „Ich habe nicht wegen des Geldes so lange gearbeitet, sondern weil mir mein Beruf unglaublich viel Spaß gemacht hat“, sagt Burgai, der aus Afghanistan stammt und dort auch aufwuchs.

Gesamtes Studium in fremder Sprache

Zum Studium ging er 1971 nach Simferopol auf die Krim. Einen Monat lang hätten die ausländischen Studenten einen intensiven Sprachkurs bekommen, danach absolvierten sie dann das gesamte Studium auf Russisch, erinnert sich Burgai. Natürlich sei das ein hartes Programm gewesen, „aber dennoch habe ich mich an der Uni sehr wohl gefühlt. Die Menschen in der Sowjetunion waren unglaublich nett zu den ausländischen Studenten und die Dozenten und Professoren haben sich sehr viel Mühe gegeben, uns etwas beizubringen.“
Anfang 1979, als er sein Studium beendet hatte, sollten die afghanischen Mediziner wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Doch dort tobte ein Bürgerkrieg, an Weihnachten 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein.
Als Jugendlicher hatte er in Kabul eine deutsche Schule besucht, sein älterer Bruder und ein Onkel lebten bereits in Bremen. Da beschloss Burgai, auch in der Hansestadt zu gehen, gemeinsam mit seiner Kommilitonin Sima, die er zuvor geheiratet hatte.

Tausende Patienten behandelt

Im St. Joseph-Stift bekam er schnell einen Arbeitsvertrag. „Ich war etwas unsicher, weil ich für mein Gefühl nur minimal Deutsch sprach. Aber die meinten, das würde ausreichen“, erzählt Burgai. Also stürzte er sich in die Facharztausbildung zum Anästhesisten und Intensivmediziner.
Tausende von Patienten hat er in mehr als vier Jahrzehnten behandelt. Manche Einsätze vergisst er nicht, etwa die Einlieferung eines Elektrikers, der an einem Hochspannungskasten an der Schwachhauser Heerstraße einen Stromstoß erhalten hatte. „Fast 70 Prozent seiner Haut waren verbrannt. Ich habe ihn dann auf dem Flug in eine Spezialklinik nach Düsseldorf betreut, wo er aber nach einigen Tagen seinen Verletzungen erlag“, sagt Burgai.

Zeit für Enkel und Hauptstädte

Es gab auch Geschichten mit Happyend, über die Burgai herzhaft lachen kann. Zum Beispiel über einen Patient mit Verdacht auf Herzinfarkt. „Er hechelte wie ein Kaninchen, hatte aber trotzdem eine schöne rosa Gesichtsfarbe“, erinnert sich Burgai. Nachdem er dem Mann eine muskelentspannende Spritze in den Rücken verpasste hatte, war dieser schnell wieder auf den Beinen und plauderte erleichtert drauflos: Er habe sich die ganze Zeit Sorgen um sein Auto gemacht, „weil meine Frau doch keinen Führerschein hat“.
Im Jahr 1993 machte sich Burgai selbstständig und praktizierte seitdem in Tageskliniken in Bremen und Niedersachsen.
Wie geht es jetzt für ihn und seine Ehefrau weiter? „Mein Nachbar fragt mich das auch immer“, erzählt Burgai und kommentiert das mit einem Schmunzeln als „typisch deutsch“. Allerdings wollen seine Frau und er, Zeit mit den drei Enkeln verbringen, europäische Hauptstädte besuchen – und irgendwann sicher auch Afghanistan wiedersehen.

Sterne funkeln am dunkelblauen Himmel

1986 war Khalil Burgai für einige Tage in Afghanistan, hatte 20 Kilogramm an Medikamenten dabei und arbeitete für vier Tage in einem Krankenhaus in Kabul. Über der Stadt habe damals eine Smogglocke gehangen, berichtet der Arzt – umso beeindruckender sei der Abstecher und die Nacht in seinen Geburtsort im Logar-Tal gewesen. „Ein dunkelblauer Himmel und unzählige Sterne leuchteten wie die Funken beim Schweißen“, beschreibt er und man spürt die Sehnsucht.
„Wenn es möglich ist, wieder nach Afghanistan zu reisen, dann würden wir das sicher gerne tun“, sagt der 71-Jährige. Wann das wohl sein wird? „Nun, wir wollen nicht warten, bis wir alt und klapprig sind“, sagt Burgai.

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