Seit 2013 leitet Olaf Woggan als Alleinvorstand die AOK Bremen/Bremerhaven. Im März 2022 hat er seinen Vertrag um zwei Jahre bis zum 31. März 2025 verlängert.Foto: Schlie Seit 2013 leitet Olaf Woggan als Alleinvorstand die AOK Bremen/Bremerhaven. Im März 2022 hat er seinen Vertrag um zwei Jahre bis zum 31. März 2025 verlängert. Foto: Schlie
Interview

„Der gelbe Schein ist tot“

Von
AOK Bremen-Chef Olaf Woggan über Kosten, Reformen und cheffreies Arbeiten

Weser Report: Herr Woggan, wird die AOK Bremen-Bremerhaven zum Jahreswechsel teurer? Aktuell liegt der Beitrag bei 16,2 Prozent des Monatsgehalts, darin enthalten ist ein Zusatzbeitrag von 1,6 Prozent, den jede Krankenkasse selbst festlegt.

Olaf Woggan: Darüber entscheidet der Verwaltungsrat, und der tagt am 19. Dezember. Wir werden ihm für 2023 einen Haushalt vorschlagen, der zu einer schwarzen Null führt, ohne dass wir den Beitrag anheben müssen. Auch 2022 werden wir voraussichtlich mit einer schwarzen Null abschließen. Zwar werden die Ausgaben für medizinische Leistungen im nächsten Jahr deutlich ansteigen, aber auch unsere Einnahmen werden sich voraussichtlich erhöhen. Die Beträge sind ja an die Gehälter gekoppelt, und in fast allen Wirtschaftszweigen haben Arbeitgeber und Gewerkschaften hohe Tarifabschlüsse vereinbart.

Wie schlagen Corona und die Grippewelle zu Buche?

Schon in unserer Planung haben wir für eine Grippewelle Geld zurückgelegt. Außerdem gehen wir davon aus, dass die Menschen wieder stärker auf einen Grippeschutz achten und sich impfen lassen. Während der Corona-Pandemie war er kaum noch ein Thema, da die Grippeerkrankungen wegen der Schutzmaßnahmen stark zurückgegangen sind. Wir als AOK streben an, grundsätzlich allen Menschen einen Grippeschutz anzubieten. Bisher empfiehlt ihn die Ständige Impfkommission nur für die Menschen ab 60 Jahren. Und bei den Corona-Impfungen rätseln die Politiker noch, wer künftig dafür aufkommen muss.

Ums Geld geht es auch bei der Krankenhaus-Reform. Der Gesundheitsminister will vor allem an die Fallpauschalen ran, nach denen jede Klinik grundsätzlich für beispielsweise eine Blinddarmoperation die gleichen Kosten erstattet bekommt. Wie wirkt sich die geplante Reform auf die AOK Bremen-Bremerhaven aus?

Aktuell gibt es für die Krankenhäuser zwei Finanzierungssäulen: die Fallpauschalen und ein Budget für die Pflege. Jetzt soll eine dritte Säule hinzukommen: die Vorhaltekosten. Das heißt: Die Krankenhäuser erhalten eine Grundfinanzierung dafür, dass sie bestimmte Leistungen vorhalten wie technische Ausstattung, OP-Säle und Fachkräfte. Nach meiner Einschätzung werden sich die Krankenhäuser dann zu 60 Prozent aus den Fallpauschalen finanzieren und zu je 20 Prozent aus den Vorhaltekosten und dem Pflegebudget.

Der richtige Ansatz?

Das ist nicht weit weg von dem, was wir als AOK für richtig halten. Die Vorhaltefinanzierung führt in Bremen aber nur dann zu guten Ergebnissen, wenn die Krankenhäuser ihre Arbeit koordinieren, und sich jedes Haus auf die Fälle spezialisiert, die es gut behandeln kann, und nicht nebenher eine Vielzahl an Leistungen in kleiner Fallzahl erbringt. Ohne vorherige Strukturreform wird das mit der Vorhaltefinanzierung nicht funktionieren.

Also eine Kniescheibe in einer Klinik operieren, die das fast täglich macht, und nicht in einer, in der das allenfalls einmal im Monat vorkommt?

Ja, das muss jetzt klappen. Bremen ist voller Beispiele, wo Krankenhäuser nebenher Leistungen in kleiner Anzahl erbringen. Wenn wir die Arbeitsteilung schaffen, wirken wir auch der Schließung von Kliniken entgegen.

Der Ruf wird lauter, viele Fälle, die heute im Krankenhaus behandelt werden, künftig ambulant zu versorgen. Sinnvoll?

Wir schlagen als AOK vor, Krankenhäuser einzurichten, die ihre Leistungen sowohl ambulant als auch stationär erbringen. Dafür müssen wir eine Vergütung finden, die für die gleiche Leistung den gleichen Preis vorsieht, unabhängig davon, ob sie stationär oder ambulant erbracht wird.

Ein Thema ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Aktuell hapert es an der Einführung des E-Rezepts.

Technisch funktioniert das E-Rezept, aber die Zahl der Apotheken, die es nutzen, ist noch klein. Im nächsten Jahr müssen wir das in die Breite bringen. Dagegen ist die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gut gelungen. Die Arztpraxen schicken diese Bescheinigungen digital an uns, und der Arbeitgeber kann sie vom 1. Januar 2023 an bei uns digital abrufen. Der gelbe Schein ist tot.

Wie steht es um die elektronische Patientenakte?

Perspektivisch wollen wir sie all unseren Versicherten zur Verfügung stellen. Dann kann jeder auf seinem Smartphone die Daten abrufen, die für den Arzt, die Krankenkasse und ihn wichtig sind. Dabei entscheiden Arzt und Patient gemeinsam, welche Angaben übers Smartphone abrufbar sind. Bisher ist die Zahl der Nutzer nur dreistellig.

Die AOK Bremen-Bremerhaven hat sich am 1. Dezember anders aufgestellt. Was ist neu?

Wir sind die erste Krankenkasse in Deutschland, die agil arbeitet. Alle Hierarchiestufen haben wir abgeschafft. Wir haben keine klassischen Vorgesetzten mehr, keine Direktoren, keine Abteilungsleiter und keine Teamleiter. Die Menschen arbeiten eigenverantwortlich und teamorientiert.

Derzeit haben Sie rund 700 Beschäftigte. Bleibt es dabei?

Aufgrund der Digitalisierung und Automatisierung werden wir in den nächsten Jahren weiter Personal reduzieren, über eine natürliche Fluktuation. Wir haben einen großen Anteil älterer Mitarbeiter. Ob wir in der Ferne unsere zehn Geschäftsstellen behalten, wissen wir noch nicht. Es kommen weniger Menschen. Viele rufen uns an oder melden sich online. Wie sich das entwickelt, schauen wir uns in den nächsten Jahren an.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren...

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner