Erschüttert und betroffen zeigten sich die Mitglieder des Beirats Neustadt am Donnerstagabend. Zunächst hatte der stellvertretende Beiratssprecher Wolfgang Schnecking eine Stellungnahme verlesen, in welcher das Gremium den Umgang mit den Bewohnern und Mitarbeitern des Seniorenpflegeheims am Kirchweg anprangert und Aufklärung fordert.
Eingeladen worden waren zu diesem Thema auch Vertreterinnen des Sozialressorts sowie Pastor und Vorstandssprecher Hans-Christoph Ketelhut vom Verein für Inneren Mission, dem Eigentümer der Immobilie am Kirchweg.
Sozialressort sichert den Betrieb bis Ende Februar
Am 27. Oktober hatte der Betreiber des Pflegeheims, der Diakonieverein Berlin-Zehlendorf, die Insolvenz beantragt. Zum 31. Dezember hätte das Heim eigentlich schließen müssen, die Senioren kein Dach mehr über dem Kopf gehabt.
Nur wenige Tage zuvor war der mögliche neue Betreiber, die ebenfalls zur Diakonie gehörende Stiftung Lobetal, doch überraschend abgesprungen.
Das Sozialressort trat für den Weiterbetrieb des Heims ein, 500.000 Euro sind als Höchstbetrag genannt worden. „Das werden wir nicht ausreizen müssen, denn die Beiträge der Pflegekassen fließen ja weiter“, sagte Sabine Nowack, Leiterin des Referats Ältere Menschen im Sozialressort, dem Beirat.
Die Hälfte der Bewohner ist ausgezogen
Stand Donnerstagabend (19. Januar) waren 46 von 89 Bewohnern bereits aus dem Pflegeheim ausgezogen. Nur zehn haben ein neues Zuhause in der Nähe gefunden, fünf in Obervieland. „Viele haben Bremen verlassen und sind sogar bis nach Nordrhein-Westfalen gezogen“, sagte Iris Hinrichsen, Leiterin der Wohn- und Betreuungsaufsicht im Hause von Sozialsenatorin Anja Stahmann. Man vermute, dass diese Senioren nun näher zu ihren Familien gezogen sind.
Auch in Huchting konnten Bewohner des Kirchwegs neue Wohnungen finden. „Der Insolvenzverwalter geht davon aus, dass das Heim am 13. Februar voraussichtlich leer ist“, so Hinrichsen weiter.
Auch Mitarbeiter brauchen Neuanfang
Zahlreiche Mitarbeiter des insolventen Pflegeheims hätten Gespräche mit anderen Trägern geführt. Diese wiederum wollen ihnen den Übergang so einfach wie möglich machen, berichtet Hinrichsen. So würden Probezeiten ausgesetzt und das Bewerbungsverfahren verkürzt.
„Manche wollen nach den Erfahrungen der letzten Jahre aber auch gar nicht mehr in der Pflege arbeiten“, bedauert Hinrichsen.
Innere Mission drückt Bedauern aus
„Wir hatten immer das Ziel, das Haus in eine gute Zukunft zu führen“, sagte Pastor Hans-Christoph Ketelhut von der Inneren Mission, dem Eigentümer der Immobilie am Kirchweg.
Die Immobilie ist nicht Teil der Insolvenzmasse, den Betrieb des Pflegeheims hatte die Innere Mission im April 2021 an den nun insolventen Betreiber abgegeben, die Immobilie allerdings behalten. Sie soll in einem sanierungsbedürftigen Zustand sein, wie auch die Mitarbeitervertretung bereits zu einem früheren Zeitpunkt mitteilte.
Man sei sehr betroffen und bedauere zutiefst, in welcher Situation Bewohner und Mitarbeiter sich nun befinden. „Wir verstehen die Wut und Trauer“, so Ketelhut weiter. Allerdings sehe die Innere Mission sich nicht in der Lage, unter den Rahmenbedingung, wie Pflege heute verlangt werde, das Haus selber zu führen.
Aus diesem Grund habe die Innere Mission 2021 entschieden, einen anderen Betreiber für das Seniorenpflegeheim zu suchen. In Gesprächen habe die Diakonie Berlin-Zehlendorf überzeugend signalisiert, dass sie den Betrieb führen könne.
„Heute müssen wir zugeben: Wir haben uns getäuscht“, räumte Ketelhut vor Beirat und Publikum ein. „Es tut uns unendlich leid, dass wir uns getäuscht haben“, so der Pastor weiter.
Hilfe soll angeboten worden sein
Mitte 2022 habe es erste Hinweise gegeben, dass der Pflegebetrieb in Schieflage geraten sei. „Wir haben sofort unsere Unterstützung angeboten“, sagt Ketelhut. Das Angebot eines Runden Tisches sei allerdings vom Betreiber nicht wahrgenommen worden.
Dann sei plötzlich Ende Oktober der Insolvenzantrag gestellt worden. „Es blieben nur sieben Wochen Zeit. Wir wollten alles beitragen was geht, um eine Lösung zu finden, können aber nicht andere Angebote gefährden“, sagt Ketelhut.
Mitte Dezember habe es dann ein Gespräch mit dem Geschäftsführer der Stiftung Lobetal gegeben, welche den Mietvertrag übernehmen wollte. „Er hat uns Eckpunkte genannt, die im Mietvertrag stehen sollten. Die haben wir gerne zugesagt“, berichtet Ketelhut.
Am 20. Dezember dann sei die Stiftung jedoch völlig überraschend abgesprungen. „Wir haben versucht, auch mit der evangelischen Kirche eine Lösung zu finden, um Zeit zu gewinnen. Wir konnten aber keine Zeit erkaufen“, so Ketelhut weiter.
Die spontane Absage begründete die Stiftung Lobetal der Inneren Mission gegenüber damit, dass der Stiftungsrat Nethel, welcher zunächst zustimmen muss, erst im März wieder tage. Vorher könne kein Mietvertrag geschlossen werden.
Was wird aus der leerstehenden Immobilie?
Der Zustand der Immobilie sei laut Gutachter „altersgerecht“, sagte Ketelhut. Teile des Gebäudes wurden in den 1970er Jahren errichtet, andere in den 1990er Jahren. Zudem werde die Miete lediglich durchgereicht, die Innere Mission erhalte also nur den Mindestbetrag, der nötig sei, um sie halten zu können.
Bauliche Mängel, welche die Ausstattung beträfen, wie etwa der Ausfall der Klingelanlage, lägen in der Verantwortung des Mieters. „Wir haben alle uns gemeldeten Mängel immer ordnungsgemäß in Stand gesetzt. Was wir nicht wissen, könne wir aber auch nicht reparieren“, sagte der Pastor.
Was künftig mit der Immobilie geschehe, wisse die Innere Mission noch nicht. „Uns ist bewusst, dass sie einer Generalsanierung bedarf, das wissen wir auch schon länger. Die Instandhaltung geschah nur noch im notwenigen Maße, weil ein Umzug geplant war“, gab Ketelhut schließlich zu.
Was geschah mit Investitionskosten?
Der stellvertretende Beiratssprecher Wolfgang Schnecking wollte wissen, wohin die Investitionskosten geflossen seien, die jeder Bewohner monatlich entrichte. „Als kirchliche Einrichtung kann man Menschen nicht wie eine Ware behandeln. Die Politik muss eingreifen und wissen, wo und wie investiert wird“, sagte Schnecking.
In einem Pflegeheim sind Investitionskosten die Kosten, die dem Träger durch Herstellung, Anschaffung und Instandsetzung von Gebäuden und den damit verbundenen technischen Anlagen entstehen. Sie sind von den Bewohnern zu bezahlen.
Man habe zwischen 2017 und 2020 mehr Geld für die Immobilie ausgegeben, als die Investitionskosten eingebracht hätten, antwortete Ketelhut.
„Wir sind in Gesprächen mit der Behörde, um uns am Ausgleich zu beteiligen. Wir bringen einen Beitrag dazu in dem Maße ein, wie wir es können, ohne andere Angebote zu gefährden“, so Ketelhut weiter.
Dass ein Systemwechsel in der Pflege notwendig sei, darin waren sich Beiräte, Behördenvertreter und Pastor einig.
Neues Pflegeheim wird trotzdem gebaut
Doch was passiert nun mit der Immobilie auf dem Gelände der Silberwarenfabrik, in welche die Bewohner nach Fertigstellung umziehen sollten? „Wir bauen die Residenz trotzdem. Noch haben wir damit nicht begonnen, der Standort ist aber sehr attraktiv und der Bedarf ist sehr groß“, sagte Frauke Meyenberg, Unternehmenssprecherin der Specht Gruppe, welche auf dem Areal am Ende des Kirchwegs auch schon eine Kindertagesstätte errichtete. „Wir machen uns keine Sorgen, eine Betreiber zu finden“, so Meyenberg weiter. Zudem könne die Specht Gruppe auch selber die neue Seniorenresidenz betreiben, fügt sie hinzu.