Weser Report: Herr Perplies, Volkshochschule – klingt das für viele Menschen nicht altbacken?
Ralf Perplies: Leider ja. Das Image werden wir nicht los und ist immer wieder Thema auf Treffen mit Direktoren anderer Volkshochschulen. Es raubt uns die Möglichkeit, bestimmte Zielgruppen anzusprechen,
Wie wollen Sie das ändern?
Wir werden deutlich mehr Marketing machen und Lebensthemen noch stärker in den Vordergrund stellen. Die Bevölkerung müssen wir davon überzeugen, dass Weiterbildung für die Teilhabe am Leben wichtig ist. Mein Schwiegervater zum Beispiel wehrt sich mit 86 Jahren dagegen, ein Smartphone zu benutzen. Darum muss er jetzt drei Stadtteile weiterfahren, wenn er Bankgeschäfte tätigen will. Man merkt deutlich, dass viele Menschen von Bereichen ausgeschlossen werden, weil sie nicht digital grundgebildet sind. Dafür bieten wir Kurse an, mit solchen Kursen wollen wir näher am Leben der Menschen sein.
Der klassische Volkshochschul-Besucher ist doch sicher älter?
Die Zielgruppe 50-plus macht 48 Prozent unserer Kunden aus, 28 Prozent sind sogar 60 Jahre und älter. Aber wir müssen stärker an die Jüngeren kommen. In der Programmentwicklung denken wir gerade darüber nach, mit welchen Formaten wir Jüngere erreichen können. Unter den migrantischen Besuchern haben wir aber ein ganz anderes Image. Für sie sind wir das Schaufenster Bremens, weil wir der Ort des Ankommens sind nach dem Migrationsamt. Bei uns können sie Netzwerke aufbauen und Freunde kennenlernen.
Wie viele Menschen kommen zu Ihren Kursen?
Im letzten coronafreien Jahr 2019 hatten wir rund 56.000 Teilnehmer. 2019 war eines der ganz starken Jahre, in den folgenden Corona-Jahren mussten wir aber starke Einbrüche hinnehmen.
Früher waren in Volkshochschule besonders die Sprachkurse beliebt, und heute?
Bundesweit nimmt in den Volkshochschulen die Zahl der Sprachkurse ab. Die Gründe für das schwindende Interesse sind sehr unterschiedlich. Im Moment gibt es aber einen starken Wunsch nach Hybrid-Sprachkursen, also Unterricht teils im Klassenraum, teils online. Ein Riesenthema ist jetzt die mentale Gesundheit. Unter denen, die berufsunfähig geschrieben wurden, nimmt der Anteil der psychisch Erkrankten sehr stark zu. Hier wollen wir weitere zusätzliche Angebote schaffen.
Sie bieten auch Bildungsurlaub an. Wie stark ist das Interesse dafür?
Wir erleben hier in einigen Lernbereichen einen Rückgang. Die Gründe kann ich nicht ausmachen. Allerdings sehen wir, dass insbesondere ältere Menschen Angst haben, sich für einen längeren Zeitraum einer größeren Gruppe auszusetzen. Wir müssen überlegen, wie wir darauf reagieren.
In Bremen verlassen relativ viele Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss. Wie können Sie denen helfen?
Einen Schulabschluss kann man bei uns nicht mehr nachholen. Dafür gibt es die Erwachsenenschule. In unserem Grundbildungsprogramm bieten wir allerdings Bremerinnen und Bremern die Möglichkeit, Wissen, auch Schulwissen nachzuholen. Auch wollen wir verstärkt bei der beruflichen Orientierung helfen. Den Menschen, die deswegen zu uns kommen, stellen wir einen Kümmerer an die Seite. In Kooperation mit der Arbeitsagentur und dem Jobcenter versuchen wir einen Beitrag zu leisten gegen den Arbeitskräftemangel.
Diese Kurse bekommen Sie bezahlt von Arbeitsagentur und Jobcenter?
Die Integrationskurse bezahlt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, und das Jobcenter bezahlt Deutschkurse. Für die Berufsorientierung haben wir Gelder von der Senatorin für Wirtschaft und Arbeit in Aussicht gestellt bekommen.
Mit den Kursen für Migranten erwirtschaften Sie doch Gewinne?
Das war in der Vergangenheit so, in der Corona-Zeit mussten wir die Zahl der Teilnehmer je Kurs senken, bestimmte Kurse aber fortsetzen, da manche Migranten und Geflüchtete Deutschland verlassen müssen, wenn sie keinen Sprachkurs belegen. Darum haben wir in dem Bereich in den letzten zwei Jahren ein hohes Minus erwirtschaftet. Wir verhandeln gerade mit dem Kultursenator über einen Ausgleich.
Erhöhen Sie wegen der steigenden Kosten die Gebühren für alle Kurse?
Die Kursgebühren konnten wir relativ konstant halten. Aber wir stehen mit Blick auf den Winter vor einer ungewissen Zukunft. Auch wir müssen überlegen, was wir mit den Energiekosten machen, wenn wir keine Entschuldung bekommen. Unsere Nebenkosten haben sich in diesem Jahr schon um 30 Prozent erhöht. Wir wollen aus der Volkshochschule auf keinen Fall eine Wärmehalle machen. Die Leute kommen nicht, um sich hier aufzuwärmen, sondern um gemeinsam etwas zu lernen. Dennoch müssen wir Energie sparen.
Im vergangenen Jahr nahm die Volkshochschule rund 10 Millionen Euro ein, musste aber ein Minus von 1,2 Millionen Euro ausweisen. Auch in diesem Jahr ist sie noch coronageschädigt. Trotzdem wollen Sie 2023 die Honorare von 25 auf 31 Euro je Stunde anheben.
Wir müssen als Auftraggeber unseren Dozentinnen und Dozenten attraktive Angebote machen, denn auch wir spüren den Fachkräftemangel. Und viele Dozenten machen die Arbeit hier hauptberuflich und haben keine anderen Einnahmen.
Wollen Sie weiterhin auch ein gedrucktes Programmheft auslegen?
Ja, ältere Kunden wünschen sich immer noch, ein Heft in der Hand zu halten. Außerdem hat eine Forschungsanalyse gezeigt, dass fast 40 Prozent unserer Kunden durch das Programmheft auf uns aufmerksam wurden. Aber im Moment gehen die Preise für Druck und Papier durch die Decke. Wir denken gerade darüber nach, was wir für das Herbstsemester 2023 anders machen können als bisher.