Delmenhorst ist seit 120 Jahren kreisfrei. Für die Stadt bedeutete dieser Schritt von Anfang an Fluch und Segen zugleich. Ein Segen, weil die wohlhabende Beamtenstadt Oldenburg Delmenhorst stets stiefmütterlich behandelt hatte und die Wohnungs-und Lebensrealitäten der „Arbeiterstadt“ nur eingeschränkt nachvollziehen konnte. Mit der Kreisfreiheit konnte Delmenhorst viele Probleme, die das Wachstum einer Industriestadt nach sich zog, nun ein Stück weit selbst regeln.
Die Kehrseite der Medaille: Man konnte nicht mehr Oldenburg für alles verantwortlich machen. Und Delmenhorst wurde abhängiger von Zuweisungen. Denn während Kreise ihre Aufgaben durch Umlage zu Lasten der angeschlossenen Gemeinden breit Schultern können, bleibt dies für eine kreisfreie Stadt wie Delmenhorst eine Herausforderung: die Aufgaben müssen finanziert sein, selbst wenn die Wirtschaftskraft gering ist.
Mit der Vollkommunalisierung stieg die Verantwortung der Ratsvertreterinnen und Ratsvertreter. Und auch die Stadtverwaltung wurde stets mit weiteren Aufgaben betraut.
Das Archiv als Wissensspeicher
Das Archiv einer Stadt ist der Wissensspeicher historischer Unterlagen. Es kann für die Gegenwart wertvoll sein zu wissen wie früher entschieden und gehandelt wurde. Vor 100 Jahren grassierte in Deutschland neben rechts- und linksradikalen Aufständen bürgerkriegsähnlichen Ausmaßes eine Hyperinflation. Themen wie Krieg, Sicherheitspolitik oder entkoppelte Geldmengensteuerung sind in jüngster Zeit erschreckend aktuell geworden. Nichts von dem ist neu, alles schon mal da gewesen. Im Delmenhorster Archiv gibt es Unterlagen von 1598.
Nach Ablauf von Schutz-und Sperrfristen werden alle Dokumente den Bürgern zugänglich gemacht. Das gilt für einfache Sachakten ebenso wie für die Unterlagen des Rates. Lange Zeit waren die Unterlagen nur vor Ort einsehbar. Seit kurzem kann am heimischen Computer oder unterwegs mit dem Smartphone auf historische Rats- und Ausschussprotokolle der Stadt Delmenhorst sowie der ehemaligen Gemeinde Hasbergen zugreifen.
Möglich gemacht hat die Digitalisierung der Deutsche Bibliotheksverband (DBV) mit dem Förderprojekt „Bürger und Rat im Wirkungsfeld von Migration“, kurz: „BÜRAMI“, aus dem Digitalprogramm für Bibliotheken und Archive innerhalb von Neustart Kultur (Wissenswandel).
Virtuelles Backup
„Wir schaffen ein virtuelles Backup, das die Informationen sichert und Interessierten den Weg ins Archiv erspart. Ohne Registrierung und Kosten können die Protokolle ‚Blatt für Blatt‘ online eingesehen werden“, sagt Stadtarchivar Christoph Brunken. Weiterer positiver Effekt: Die Originalvorlagen werden künftig geschont. „Sie zerfallen langsam“, bedauert Brunken. Eine klassische Restaurierung sei jedoch sowohl zu teuer als auch vorlagenbedingt in Teilen nicht mehr umsetzbar. „Dies wäre besonders bedauerlich, da Delmenhorst mit seiner überregional bedeutsamen Migrationsgeschichte für historische wie soziale Forschungsfragen eine ideale Quellensammlung darstellt,“ sagt der Stadtarchivar.
Die geförderte Digitalisierung umfasst Ratsunterlagen von 1860 bis zur Nachkriegszeit. Ferner die älteren Protokolle der 1974 eingemeindeten Ortschaft Hasbergen sowie Bestandssplitter älterer Meldeunterlagen von Hasbergen und der Arbeiterkolonie Dauelsberg. Der Teilbestand besteht aus etwa 70 Archivalienbänden mit einem Umfang von gut zwei Metern. Knapp 45.000 Scans wurden finanziert, rund 2.500 Gigabyte an Daten produziert. Das Stadtarchiv hat parallel dazu begonnen, jährlich eine kleine Marge in Eigenleistung zu digitalisieren.
Brunken: „Unser Ziel ist es, die Lücke von den 1950er-Jahren bis zum Schnittjahr des Online-Ratsinformationssystems Allris zu schließen. Wir haben inzwischen die Legislaturen bis Mitte der 1980er-Jahre digitalisiert.“ Allerdings werden die Unterlagen mit einer zeitlichen Verzögerung online gebracht.
Die historischen Ratsprotokolle sind online unter arcinsys.niedersachsen.de zu finden. Dort geht man auf „Stadtarchive“ – „Stadtarchiv Delmenhort“ und lässt sich alle „zugeordneten Objekte“ zeigen.