Weder im Fernsehen, noch als Sammelkarten oder Gameboy-Spiel haben mich die seltsamen Comic-Kampfmonster sonderlich interessiert. An Pokémon Go komme aber auch ich nicht vorbei.
„Wollen wir einen Spaziergang machen?“, fragt mein Mann etwas scheinheilig. Am Abend zuvor haben wir die Pokémon Go-App auf unsere Smartphones geladen und natürlich wollen wir jetzt wissen, ob sich die Neustadt als Jagdrevier eignet.
Pokémon Go in der Neustadt
Ein Blick aufs Display verrät: Die Erlenstraße ist nur so gesäumt von sogenannten Pokéstops. An ihnen gibt es neue Pokébälle, also die Gefäße, die wir brauchen, um die kleinen Viecher später auch wirklich fangen zu können.
Praktisch: Ein Foto zeigt, wo sich der Stop genau befindet, meistens handelt es sich dabei um Graffitis an Hauswänden. Steht man mit seinem Smartphone an eben jener Stelle und streicht mit seinem Finger über das Foto, gibt es dafür Pokébälle und manchmal auch Poké-Eier.
Zehn Kilometer laufen, um ein Ei auszubrüten
Spieler können sie mit einem speziellen Brutgerät ausbrüten, wenn sie eine vorgegebene Strecke zu Fuß zurückgelegt haben. Zehn Kilometer muss ich für das erste Ei zurücklegen, das ich in den Automat lege. An diesem Tag wird mir das nicht gelingen.
Als es plötzlich anfängt zu regnen, suchen wir Schutz unter dem Dach des Waschsalons an der Ecke zur Friedrich-Ebert-Straße. Vorteil: Dort sitzen wir so lange, dass wir den Pokéstop, der sich hinter dem Wandgemälde der gegenüberliegenden Versicherung verbirgt, gleich mehrmals abschöpfen können.
Etwas peinlich, aber unterhaltsam
Es ist etwas unangenehm, zu zweit mit gezücktem Smartphone durch die Nachbarschaft zu gehen. Ich habe das Gefühl, jeder weiß, was wir da tun. „Wieder einer, der den Hype mitmacht“, denken sich die Passanten wahrscheinlich.
Und: Ist man mit fast 33 Jahren nicht etwas zu alt, um bunten Comic-Figuren hinterher zu jagen – und das auch noch in aller Öffentlichkeit? Am Anfang stecke ich das Smartphone deshalb immer wieder etwas verschämt in die Jackentasche.
Wir sind nicht allein
Schnell fällt uns aber auf: Wir sind nicht allein. Und meistens sind es Männer zwischen Mitte 20 und 40 Jahren, die verdächtig aufmerksam auf ihre Telefone starren. Und nur allzu oft verrät ein Blick aufs Display im Vorbeigehen: „Aha. Du also auch.“ Jugendliche und Kinder treffen wir hingegen kaum.
Wir wechseln auf die Gastfeldstraße, weil dort die Dichte an Pokéstops zunimmt. Mein Mann will plötzlich links in eine kleine Gasse abbiegen. Ich bin unsicher, ob das überhaupt öffentliches Gelände ist.
Unbekannte Ecken entdecken
Und auch der Elektrohändler, der gerade einen Herd auf seinen LKW verlädt, schaut etwas seltsam, als wir uns wie verlaufene Touristen zwischen Hauswand und Sackkarre vorbeidrängen.
Obwohl ich bis vor kurzem nur wenige Meter weiter gewohnt habe, bin ich in dieser kleinen Seitenstraße noch nie gewesen. Kein Wunder: Außer Garagen und Lagerräumen gibt es dort nicht viel – außer natürlich einen Pokéstop.
Pokémon jagen auf dem Friedhof
Ob wohl auch auf dem naheliegenden Friedhof etwas zu holen ist? Und ob! Als wir in die Nähe des Gräberfelds am Buntentorsteinwegs kommen, ploppen einige blaue Würfel dort auf.
Zwischen den Gräbern auf die Jagd zu gehen, fühlt sich etwas eigenartig an. Aber auch dort sind wir nicht allein. Zwei junge Männer gehen mit ihren Handys seltsame Umwege. Wir sind uns sicher: Auch sie spielen Pokémon Go.
Akku lässt schnell nach
Meinem Mann gelingt es sogar, neben einer Grabstelle ein „Taubsi“, wie eines der wilden Monster heißt, einzufangen. Immerhin: Vor diesem unfreundlich aussehenden Vogel haben die Toten jetzt Ruhe, scherzen wir.
Im kleinen Café neben dem Friedhof machen wir Pause. Dort kündigt sich unser heute größtes Problem an: Unsere Akkus schwächeln. Dabei haben wir gerade beide Level 5 erreicht und können unsere Pokémon endlich in sogenannten Arenen in den Kampf schicken.
Mit Level 5 in die Arena
Die nächste Arena befindet sich direkt an der Schwankhalle. Dort lassen wir uns nieder, schließen uns für den Rest unserer Pokémon-Trainer-Tage einem der drei Teams an (natürlich dem blauen, das auf Weisheit setzt!) – und stellen fest, dass unsere Pokémon viel zu schwach sind, um gegen die deutlich stärkeren Monster zu kämpfen, die andere Spieler in der Arena hinterlassen haben.
An der Fußgängerbrücke über den Werdersee entdecken wir eine Arena, die noch niemand eingenommen zu haben scheint. Kaum haben wir uns auf den Weg gemacht, leuchtet die Arena in der Farbe des roten Teams und wieder sind wir viel zu schwach, um etwas auszurichten.
Mit dem Gegner Auge in Auge
Entlang der Piepe geht es für uns in die Neustadtswallanlagen. Mein Mann kämpft um jeden Prozentpunkt seines Akkus, denn am Springbrunnen an der Friedrich-Ebert-Straße befindet sich eine Arena, die für uns bezwingbar scheint.
Dort sitzt schon ein Mann Ende 30. Wir setzen uns ihm gegenüber und vermeiden etwas peinlich berührt den Blickkontakt. Als mein Mann gerade ein gegnerisches Pokémon besiegen will, geht sein Smartphone aus: Akku leer.
Auch unser Gegner hat uns als Mitspieler ausgemacht. Als er an uns vorbeiläuft, fragt er für welches Team wir spielen und wünscht weiterhin eine „Gute Jagd“.
Kein erfolgreicher Kampf
Auch ich habe nur noch wenige Prozent. Mir will aber kein erfolgreicher Kampf gelingen. Jedes Mal beendet die App den Kampf, bevor er begonnen hat. Fehler im System oder mache ich etwas falsch? Ich gebe auf und wir treten den Heimweg an.
Auf dem Delmemarkt befindet sich eine weitere Arena. Kurz bevor wir sie erreichen, kann ich noch ein „Ratzfratz“ fangen – dann wird auch mein Display schwarz.
Fazit: Witzig, aber noch mit Schwächen
Immer wieder mussten wir zwischendurch die App neu starten, weil nichts mehr ging. Das hat etwas genervt. Und die Gefahren, vor denen schon jetzt intensiv gewarnt wird, sind nicht von der Hand zu weisen.
Auch wir sind zumindest fast in einige andere Fußgänger und Radfahrer hineingelaufen. Aber wir hatten auch eine Menge Spaß – und haben ganz unbemerkt immerhin fast fünf Kilometer zu Fuß zurückgelegt.
Ich bleibe also erst einmal am Ball – bin mir aber sicher, dass sich mein Interesse nicht viel länger hält als damals beim Tamagotchi.