Der Mediziner Bernhard Rochell (l.) ist seit Anfang dieses Jahres Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KVHB), Peter Kurt Josenhans ist sein Stellvertreter. Der KVHB gehören 1.823 Ärzte und Psychotherapeuten an. Rochell arbeitete vorher bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Josenhans bei der AOK Bremen. Foto: Holz
Interview

„Das ist sehr kritisch“

Von
Ärzte-Vertreter Bernhard Rochell und Peter Kurt Josenhans zu Praxen und Patienten.

Weser Report: Herr Rochell, Herr Josenhans, wie stellen sich die niedergelassenen Ärzte auf den 7. Juni ein, wenn bundesweit die Priorisierung bei den Corona-Impfungen wegfällt?

Bernhard Rochell: Es gibt jetzt schon einen Ansturm auf die Praxen. Viele Ärzte berichten uns, dass sie telefonisch kaum noch erreichbar sind, die Warteschleifen überfüllt sind und das E-Mail-Fach überquillt. Denn schon heute fragen auch viele Bürger nach einem Impftermin, die gar keiner Priorisierungsgruppe angehören.

Was macht ein Patient, der akut erkrankt ist oder ein chronisch Kranker, der regelmäßig zu seinem Arzt gehen muss?

Peter Kurt Josenhans: Das ist das Problem. Deshalb haben wir in Bremen von Anfang an dazu aufgerufen, dass die Ärzte sich an die Impfberechtigten wenden und nicht umgekehrt. Aber wir hören sehr viele Beschwerden von Ärzten, dass sich nicht alle Bürger daran halten.

Bernhard Rochell: Dazu kommt, dass die Ärzte Woche für Woche vor einer neuen Situation stehen. Sie bekommen häufig weniger Impfdosen, als sie bestellt haben. Und wie viele sie tatsächlich erhalten, erfahren sie wenige Tage im Voraus. Dann müssen sie Termine absagen und umlegen. Die Angestellten hängen fast nur noch am Telefon.

In anderen Städten klagen Ärzte über aggressive Patienten. Wie ist die Lage in Bremen?

Bernhard Rochell: Das ist leider auch in Bremen ein zunehmendes Problem. Und es kommen Patienten in die Praxis, mit denen ein Termin für eine Impfung mit Astra-Zeneca vereinbart war, und wollen dann mit Biontech geimpft werden. Diese Patienten blockieren Termine, die andere gerne wahrnehmen würden. Und die Angestellten müssen versuchen, den Termin neu zu besetzen. Das hält den ganzen Praxisbetrieb auf.

Eine Entlastung zeichnet sich doch ab, wenn im Juni auch die Betriebsärzte Impfstoff erhalten?

Bernhard Rochell: Das wird sicherlich so sein. Wenn die Impfstoffmenge aber weiter begrenzt bleibt, ist die Frage, geht das Kontingent für die Betriebsärzte vom Kontingent der Impfzentren ab oder von dem der Hausärzte?

Wie ist generell die Versorgung Bremens mit niedergelassenen Ärzten?

Bernhard Rochell: Die ärztliche Versorgung ist gut, gemessen an den Parametern der Bedarfsplanung, die für das ganze Bundesgebiet gilt. In manchen Stadtteilen sehen die Bürger dort das vielleicht anders. Vielleicht bekommen wir auch aus den Stadtteilen, von den Beiräten Unterstützung, indem sie uns auf geeignete Räume hinweisen.

Peter Kurt Josenhans: Man wird es aber nicht schaffen, dass in jedem Stadtteil alle Fachrichtungen vertreten sind. Die Ärzte wählen ihren Standort auch danach aus, wo sie eine ausreichende Zahl an Patienten bekommen können. Aber wir haben in Bremen ein dichtes öffentliches Verkehrsnetz, so dass man auch in einem anderen Stadtteil zum Arzt fahren kann.

Wie ist die Bereitschaft von Medizinern, eine Praxis zu eröffnen?

Bernhard Rochell: Wir ha­ben auf unserer Homepage jetzt eine Praxisbörse freigeschaltet, wo Kollegen, die ihre Praxis abgeben wollen, potenzielle Nachfolger finden können. Die Bereitschaft von jungen Medizinern, eine Praxis zu eröffnen oder zu übernehmen, ist durchaus da. Aber wir haben schon einen zunehmenden Trend, dass der ärztliche Nachwuchs auch angestellt arbeiten möchte. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist vielen sehr wichtig. Das tradierte Modell der selbstausbeuterischen Einzelniederlassung mit einem 24-Stunden-Service an sieben Tagen in der Woche wird nicht mehr favorisiert. Auch Gemeinschaftspraxen und medizinische Versorgungszentren liegen im Trend.

Peter Kurt Josenhans: Die Zahl der angestellten Ärzte ist stark gestiegen, ebenso die Anzahl jener, die Teilzeit arbeiten.

Gibt es schon branchenfremde Investoren, die solche Zentren aufbauen und betreiben?

Peter Kurt Josenhans: Das passiert schon in vielen Bundesländern. In Bremen ist es aber noch nicht so ausgeprägt wie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen. Aber dieser Trend zeichnet sich auch in Bremen ab.

Was heißt das für den Arzt?

Bernhard Rochell: Im Krankenhausbereich hatten wir den Trend ja schon früher, dass gewinnorientierte Gesellschaften dort eingestiegen sind. Das wird auch im Bereich der niedergelassenen Ärzte kommen. Es gibt ja schon Unternehmen, die Dialyse-Zentren aufkaufen. Jeder Arzt muss auch wirtschaftlich arbeiten, aber wenn man in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung Investoren hat, die als Anleger vor allem die Dividende im Blick haben oder in großem Maße Gewinne abschöpfen wollen, dann ist das sehr kritisch.

Auch manche Krankenhäuser gründen medizinische Versorgungszentren oder kaufen Praxen auf.

Peter Kurt Josenhans: Ja, die gibt es. Da entsteht schon eine Konkurrenzsituation.

Bernhard Rochell: Es bestehen aber auch Kooperationen zwischen Krankenhäusern und Praxen. Wir müssen stationäre und ambulante Versorgung miteinander verzahnen, dann sichern wir eine gute Versorgung.

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