Die Zahl der Kinder mit einem diagnostizierten Förderbedarf im Bereich der Wahrnehmung und Entwicklung ist in Bremen sprunghaft angestiegen. Symbolfoto: Pixabay Die Zahl der Kinder mit einem diagnostizierten Förderbedarf im Bereich der Wahrnehmung und Entwicklung ist in Bremen sprunghaft angestiegen. Symbolfoto: Pixabay
Förderbedarf

Sprunghafter Anstieg im W&E-Bereich

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Deutlich mehr Erstklässler in Bremen haben einen Bedarf für eine Förderung im W&E-Bereich

Immer mehr Kinder kommen mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich Wahrnehmung und Entwicklung (W&E) in die Schule.

Waren es im Schuljahr 2019/2020 noch 63 Kinder, so wurden im vergangenen August 162 Kinder mit einem Förderbedarf eingeschult. Einen sprunghaften Anstieg verzeichnete die Bildungsbehörde im Jahr zuvor, als 120 Kinder (2022/23: 77) mit W&E-Förderbedarf in erste Klassen aufgenommen wurden.

„Da Kinder mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf ein Recht auf die für sie notwendige sonderpädagogische Förderung haben, nimmt die Bildungsbehörde den Auftrag zur Schaffung von Plätzen sehr ernst. Aus diesem Grund werden die vorgehaltenen Kapazitäten für die Kinder zum Schuljahr 2025/2026 massiv ausgeweitet und zusätzliche W&E-Standorte eingerichtet“, erklärt Patricia Brandt, Sprecherin von Bildungssenatorin Sascha Karolin Aulepp.

Die Zunahme sei bundesweit zu beobachten, heißt es aus dem Bildungsressort.

Auch Kinderärzte stellen Anstieg fest

Wird bei der Schuleingangsuntersuchung ein Förderbedarf festgestellt, beantragt der schulärztliche Dienst die Einleitung des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens, erklärt die Sprecherin. „Der sonderpädagogische Förderbedarf W&E wird dann im Rahmen eines Diagnoseverfahrens festgestellt. In etwa einem Viertel aller Verfahren wird der schulärztlich vermutete Förderbedarf nicht bestätigt.“

Auch in den Kinderarztpraxen ist der Anstieg – subjektiv – zu beobachten, wie die Landessprecherin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte (BVKJ) Judith Hildebrandt, bestätigt.

Defizite in Wahrnehmung und Entwicklung, sprachliche, sozial-emotionale und motorische Auffälligkeiten sowie Adipositas werden in den Arztpraxen auch schon vor den Schuleingangsuntersuchungen festgestellt. „Diese Auffälligkeiten sind besonders gebunden an Stadtteile mit niedrigem Sozialindex“, sagt Hildebrandt.

Vielfältige Ursachen

Die Ursachen für den Anstieg seien vielfältig: Früherer und längerer Medienkonsum – auch der Eltern – und damit weniger Kommunikation und gemeinsames Beschäftigen; Sehstörungen die eventuell auf den frühen Medienkonsum zurückzuführen sind, Bewegungsmangel durch fehlende Angebote und lange Wartezeiten auf Plätze in Sportangeboten; Hörstörungen, die teilweise wegen langer Wartezeiten auf eine so genannte Paukenröhrchenoperation zu Hör- und Sprachminderungen führen sowie ein später und unregelmäßiger Kindergartenbeginn, bedingt durch fehlende Plätze und Fachpersonal.

Auch fehle bei Eltern oft das Bewusstsein für eine Entwicklungsverzögerung, sagt die Kinderärztin.

Und: Corona und die ergriffenen Maßnahmen hätten bestimmt ebenfalls einen Anteil an der Entwicklung und die Tendenz verstärkt, sagt Hildebrandt.

Bessere Diagnostik und Sensibilisierung

Die stark gestiegenen Zahlen erklärt das Bildungsressort auch mit verbesserter Diagnostik, wodurch mehr Kinder mit verzögerter Entwicklung erkannt und gefördert werden könnten. Dies geschehe auch vermehrt in Kindergärten, wo das Personal sensibilisiert sei.

„Kinder, die in Risikolagen aufwachsen, haben ein deutlich höheres Risiko, den sonderpädagogischen Förderbedarf W&E zu entwickeln“, bestätigt auch Brandt.

Fachpersonal fehlt

Das Bildungsressort hat bereits zusammen mit dem Paritätischen Bildungswerk eine berufsbegleitende Ausbildung für weiteres Fachpersonal auf den Weg gebracht. Zusätzlich zu den seit dem vergangenen Sommer eingerichteten Gruppen an W&E-Standorten werden für das kommende Schuljahr vermutlich weitere benötigt.

„Von einer guten Entwicklung unserer Kinder hängt deren weiterer Lebensweg und damit letztlich unsere gesellschaftlichen Möglichkeiten ab“, appelliert die BVKJ-Sprecherin Hildebrandt.

Daher sei es unumgänglich, präventiv zu arbeiten, gesellschaftliche Ungleichheiten auszugleichen, frühzeitig Defizite zu erkennen und mit entsprechenden Maßnahmen entgegen zu steuern – möglichst, bevor es immer schwieriger werde.

Rike Füller & Laura Stache

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