Im vergangenen Jahr hat sich in Gröpelingen viel bewegt, und auch im neuen Jahr gibt es für die Akteure im Stadtteil viele Aufgaben. Diesmal haben wir mit Christiane Gartner von Kultur vor Ort und Lars Gerhardt vom Gröpelingen Marketing über die Situation im Stadtteil gesprochen.
Weser Report: War das Jahr 2019 ein gutes Jahr für die Projekte im Stadtteil?
Lars Gerhardt: Sie wissen ja dass ich ein sehr optimistischer Mensch bin, was die Entwicklung in Gröpelingen angeht. Zum Beispiel hat Gröpelingen besonders viele junge Leute und gleichzeitig unglaublich viele interessante Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten vor der Tür.
Aber Gröpelingen hat auch sehr viele innovative Unternehmen, Einrichtungen und Vereine. Da steht nicht immer das Geldverdienen im Vordergrund, sondern häufig der Wunsch, die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung gleichermaßen voran zu bringen. In der Privatwirtschaft wird auf hohem Niveau investiert.
Auch jede Investition in eine Immobilie zeigt, dass nicht nur ich ein optimistischer Mensch bin, was den Standort angeht. Die Erwartungen sind hoch und Gröpelingen wird liefern.
Christiane Gartner: … wenn ich resümiere, würde ich sagen: Ja, wir haben gemeinsam mit Partnern vieles für Gröpelingen bewirkt: Vor einigen Jahren haben wir die Bildungslandschaft Gröpelingen mit initiiert und mit den vielen Kollegen aus Kitas, Schulen und den Einrichtungen der kulturellen Bildung herausgearbeitet, welche spezifischen Herausforderungen die Bildungsakteure in Gröpelingen bewältigen müssen. Heute werden unsere Impulse und Analysen sehr ernst genommen und zeigen Wirkungen.
Wir freuen uns, dass insgesamt die Investitionen in Bildung steigen. Schulen- und Kitaneubauten, aber auch die Platzgestaltung am QBZ Morgenland sind dafür gelungene Beispiele. Zudem erlebe ich überall engagierte Kollegien und Eltern, die Gröpelingen positiv gestalten wollen.
Wir durften den Prozess zum Aufbau des Campus Gröpelingen rund um die Neue Oberschule und die Grundschule an der Humannstraße moderieren und da konnten wir erleben, wie vor Ort neue innovative Ideen in die Tat umgesetzt werden und ganz intensiv an der Qualität von Bildung gearbeitet wird.
Ein ganz anderer Aspekt hat uns in diesem Jahr ebenfalls intensiv bewegt: Wir haben Netzwerke zu hoch motivierten Gründerinnen und Gründern aufgebaut, die sich mit Engagement nicht nur für sich selbst sondern auch für den Stadtteil einsetzen.
Die Übergabe des Pasdocks an das Camvinoteam ist so ein Beispiel. Hier werden nicht nur „Made-in Gröpelingen“ Produkte angeboten. Der Raum steht auch Initiativen zur Verfügung und es finden regelmäßige Konzerte statt. Das ist ein echter Mehrwert für den Stadtteil.
Was uns wichtig bleibt, ist immer wieder zu betonen, dass wir in einem solidarischen Ankommensstadtteil arbeiten und dass jeder Cent öffentlicher und privater Mittel, die in Infrastruktur und qualifizierte Programme gesteckt werden ein Mehrwert für Gröpelingen darstellt.
Bei der Armutsentwicklung braucht Gröpelingen den politischen Willen und mehr ressortübergreifende Initiativen – da ist viel in den vergangenen Jahren passiert und noch ganz viel Luft nach oben.
Welche Ereignisse haben Sie besonders bewegt?
Gartner: Wenn wir etwas herausheben können, dann vielleicht, dass es uns gelungen ist, für das Liegnitzquartier noch einmal viel Geld zu akquirieren. Das führt dazu, dass wir Personal und Ideen gemeinsam mit den Bewohnern vor Ort entwickeln können.
Da sind wir auf einem guten Weg in eine solidarische Nachbarschaft. Viele der Bewohner sind heute engagiert bei Programmen wie den Liegnitzwalks dabei oder kümmern sich um den Platz.
Gerhardt: Der Start des Projektes Soziale Manufakturen. Hier arbeiten Menschen zusammen, die auf dem Arbeitsmarkt bisher immer durchs Rost gefallen sind. Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen oder Strafgefangene verkaufen auf Märkten Produkte aus ihren Einrichtungen. Und das mit großem Erfolg und Leidenschaft.
Ein Highlight war auch der Gröpelinger Sommer, der wieder die Vielfalt und Lebensfreude des Stadtteils gezeigt hat. Es hat sich vieles Gutes bewegt, wie bei der Inneren Sicherheit. Da hat der Innensenator Gröpelingen als Schwerpunktgebiet ausgeguckt und einige gute Maßnahmen auf den Weg gebracht.
Dann war 2019 also ein durchweg positives Jahr oder gab es auch Rückschläge?
Gerhardt: Ein richtig dicker Hammer kam für uns im Stadtteilmarketing im Oktober, als herauskam, dass wir zwar mehr Geld bekommen, aber zunächst erstmal nur ein Jahr weiter gefördert sollen und nicht wie ursprünglich geplant, vier Jahre.
Das Stadtteilmarketing hier besteht aus Kultur vor Ort und Gröpelingen Marketing. Unsere gute Arbeit hier hängt an engagierten und klugen Vorständen und Mitarbeitern. Die Politik tut gut daran, dieses Pfund zu sichern.
Die Verantwortlichen haben aber schon deutlich gemacht, dass sie uns und unsere Arbeit sehr wertschätzen und uns nicht hängen lassen. Man kann einige unserer innovativen Projekte deutschlandweit vorzeigen: Soziale Manufakturen, Feuerspuren, das schnellste Wlan, Public Chair oder auch der Gröpelinger Sommer mit einer interreligiösen Feier. Wo gibt es das alles in dieser Dichte.
Gartner: Natürlich gibt es auch immer Rückschläge. Das Jahr hat ja schon dramatisch mit der Schließung des Spielhauses Bexhövederstraße begonnen. Dass wir damals das Kinderatelier nicht schließen mussten, verdanken wir privaten und politischem Engagement, aber das Problem ist dadurch nicht langfristig gelöst. Das sehen wir jetzt zum Jahresende:
Die Mittel für die Offene Kinderarbeit in Gröpelingen wurden Ende 2019 erneut extrem beschnitten. Wir starten in das Jahr 2020 ohne das Kinderangebot im Wilden Westen und mit einer Viertel des Etats für das Mobile Atelier, dass nun auch den Standort am Liegnitzplatz und am Bibliotheksplatz verlassen wird.
Wenn wir nicht wollen, dass vor dem Hintergrund krasser Exklusionserfahrungen eine ‚lost generation‘ heranwächst, brauchen wir umfassende Anstrengungen für vielfältige Angebote.
Es ist skandalös, dass sich insbesondere in diesem jungen Stadtteil keine Lösung findet, den Etat auf Kinder- und Jugendliche gleichermaßen zu verteilen. Haben Kinder unter zehn Jahren etwa keinen Bedarf an qualifizierter offener Kinderarbeit? Wir erleben in unseren Ateliers und offenen Angeboten etwas anderes, Ich denke hier ist das gemeinsame Wollen von Politik gefragt. Mit dieser Koalition hoffen wir auf eine neue strategische Ausrichtung.
Welche Ziele haben sie sich für das neue Jahr gesetzt?
Gartner: Wir versuchen schon seit einigen Jahren unsere strategische Arbeit an den ‚17 Zielen für eine bessere Welt‘ der Vereinten Nationen auszurichten. Das klingt hochgestochen, ist aber ein ganz praktischer und für Gröpelingen unverzichtbarer Ansatz: Es geht in diesen Strategien darum, demokratische Strukturen zu stärken, Beteiligung zu erhöhen, Kinderrechte umzusetzen und natürlich, nachhaltig zu agieren.
Dazu gehört unser Engagement für sozialräumliche Bildung und die Angebote der kulturellen Bildung, die wir als Strategie gegen Kinderarmut verstehen. Was wir für die kommenden Jahre verstärkt im Fokus haben – und da sind sich die beiden Marketingvereine einig – wir werden unsere Veranstaltungen nachhaltig entwickeln.
Das Team ‚No Plastik‘ beim Mikrofestival am Liegnitzplatz hat gezeigt, dass man kein Wegwerfgeschirr braucht. Festivals wie Feuerspuren und der Gröpelinger Sommer stellen da höhere Anforderungen an uns, denen wir uns gern gemeinsam stellen.
Gerhardt: Es wird mehr als bisher darum gehen, unsere Projekte auf das Thema Nachhaltigkeit zu prüfen. Das ist nicht nur der Aspekt Klimaschutz, sondern es geht auch um soziale Gerechtigkeit, Gesundheit, Bildung oder Wirtschaftswachstum.
Ganz oben auf der Agenda steht weiterhin das Ziel, dass in Gröpelingen investiert wird und Innovationen gestartet werden. Konkret an Veranstaltungen planen wir zum Beispiel einen Gröpelinger Kindersommer am ersten Augustwochenende, eine Berufemesse am 6. Oktober oder das traditionelle Weihnachtsrätsel. Wir möchten im kommenden Jahr neue, bisher nicht dagewesene Projekte auf den Weg bringen. Hört sich spannend an, oder?